It’s a mad mad mad mad game
Die Herzinfarkt-Todesrate in Innviertel ist verglichen mit dem restlichen Österreich überdurchschnittlich hoch. Dies liegt wohl primär an der „gesunden“ Ernährung rund um Bier, Most, Bratl in der Rein, Innviertler Knödel und Surspeck.
Doch im Laufe der letzten vier Jahre hat wohl auch die SV Ried einen kleinen Teil dazu beigetragen, dass manche Herzen in der Region schneller schlugen. Kulminiert hat sich der Wahnsinn heuer im Laufe der Meisterschaftsentscheidung an den letzten Runden. Im Vergleich dazu sind manche Hitchcock-Drehbücher nämlich geradezu langweilig. Doch mehr dazu später.
Inhaltsverzeichnis
Die Analyse bleibt vorerst aus
Nein, im Gegensatz zu den letzten Jahren (siehe unten) werde ich die heurige Saison der SV Ried zum aktuellen Zeitpunkt nicht analysieren.
- 2018/2019: Die SV Ried geht nicht weg
- 2017/2018: Anatomie eines Nichtaufstiegs
- 2016/2017: Zweitklassig
Es wird nämlich noch eine Weile dauern, bis ich die Zahlen und Daten richtig einordnen kann. Zu wild war die Achterbahnfahrt der Gefühle zwischen Ende Juni und Ende Juli.
Manchmal passieren (Fußball-)Wunder
Ich persönlich hatte mit der Saison 2019/2020 nach dem Spiel gegen Liefering in Runde 26 abgeschlossen gehabt. Nach einem 2:2 gegen das Farmteam der Bullen betrug der Rückstand auf den Verein aus Kärnten drei Punkte – bei nur noch drei verbleibenden Spielen. Tendenz und die Form sprachen klar für den Gegner.
Ich muss an dieser Stelle auch gestehen, dass ich meinen Saisonrückblick an diesem Tag geschrieben hatte. 1741 Wörter über das abermalige Versagen im Innviertel. Doch diese Zeilen werden (dem Fußballgott sei Dank) niemals das Licht der Welt erblicken. Ich bin heilfroh, dass die Mannschaft mehr Vertrauen in sich selbst hatte, als dies bei meiner Person der Fall war.
Nach einem kurzen Rückblick auf die abgelaufene Saison will ich einen Ausblick auf die Saison 2020/2021 wagen – wo endlich wieder Rapid, RBS und Sturm anstatt Young Violets, OÖ Juniors und Lafnitz in die josko.Arena nach Ried kommen werden.
Corona-Panik
Der Saisonbeginn war mit zwei Heimniederlagen gegen Klagenfurt und den GAK abermals verpatzt. Doch die Mannschaft fand ab der 6. Runde in einen echten Flow. Zwischen August und November wurden neun Spiele en suite gewonnen, in der letzten Runde vor der Winterpause konnte man nach einem 5:0 Kantersieg in Dornbirn sogar erstmals die Tabellenspitze erklimmen.
Vor allem Stefan Nutz (als Regisseur und Assist-Maschine) und Reuben Acquah (als tiefstehender Spielmacher) fanden im zentralen Mittelfeld immer besser zusammen. Zwei Wochen nach einer wahrlichen Massenwanderung an den Wörthersee beim Wiederbeginn im Frühjahr konnte man sich unmittelbar vor der Zwangspause sogar acht Punkte (und elf Tore) von den Kärntnern absetzen.
Doch dann kam COVID-19 und nach der dreimonatigen Spielpause war nicht mehr viel, wie es vorher war. Konnte das 2-4 gegen den GAK noch in die Kategorie Ausrutscher/Angstgegner eingeordnet werden, waren die 1-3 bzw. 2-3 und 1-3 Niederlagen gegen Young Violets, OÖ Juniors und BW Linz einfach nur unerklärlich (schlecht).
In diesen Partien passte so gut wie gar nichts (mehr). Nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Thomas Reifeltshammer (Nierenverletzung gegen Kapfenberg) wirkte die Verteidigung rund um die rekonvaleszenten Reiner, Kerhe und Boateng wie ein chaotischer Hühnerhaufen.
Gerald Baumgartner nahm vor der Partie gegen BW Linz (Anm. die für mich erbärmlichste Leistung einer SVR-Mannschaft seit Ewigkeiten) Johannes Kreidl aus dem Tor und ersetzte ihn durch den (deutlich) lauteren Filip Dmitrovic. Sportlichen Grund für den Tormannwechsel gab es zu diesem Zeitpunkt eigentlich keinen.
Diese (populistische?) Maßnahme schien zunächst noch zum Eigentor zu werden, verursachte Dmitrovic nach einen übermotivierten Ausflug doch das entscheidende 1-3 gegen die Linzer. Doch in den Partien gegen Steyr und Liefering war die bessere Ordnung der Defensive (auch wegen der im TV deutlich wahrnehmbaren Kommandos des Keepers) klar erkennbar. Und gegen Wacker Innsbruck und den SV Horn hielt er seine Mannschaft dann im Spiel bzw. rettete die knappen Siege.
Mit einer Torlawine zum Meisterstück
Der erste Knackpunkt war ein vogelwildes 4:3 gegen Wacker Innsbruck. Nach 10 Minuten hätten man 0:3 in Rückstand liegen können. Beim Stand von 1:2 hatten die Innsbrucker mehrere Chancen auf 1:3 oder sogar 1:4 zu erhöhen. Dann der Ausgleich zum 3:3 in der 93. Minute. Und der 4:3 Siegtreffer mit der letzten Aktion des Spiels. Durch diese (äußerst glückliche) Fügung der Schicksals lebte die Chance auf den Titel weiter.
In Horn lag man gegen einen schwachen Gegner 1:0 in Führung, machte diesen aber mit mehreren Schlampigkeiten wieder stark und leg plötzlich bei einem Mann weniger am Feld mit 1:2 in Rückstand. Doch ein Doppelschlag und zwei Saves von Dmitrovic retteten das 3:2 über die Ziellinie. Gleichzeitig verschoss der Konkurrent einen späten Elfmeter und kassierte quasi im Gegenzug einen Elfmeter zur 1:2 Niederlage. Plötzlich lag man nach 29 Spielen wieder auf Platz 1 – punktegleich und fast torgleich mit dem Verein aus Kärnten.
Versagten in den Endspielen der letzten Jahre stets die Nerven, so ließen die Rieder heuer von Beginn weg keinen Zweifel aufkommen, dass man nächste Saison wieder in der Bundesliga spielen würde. Wießmeier und Co. fegten über einen (zugegebenermaßen) inferioren FAC hinweg, nach knapp 32 Minuten stand es 5:0, am Ende reüssierte man mit dem höchsten Sieg der Vereinsgeschichte sogar mit 9:0.
Werden im Normalfall bei einem Stand von 5:0 die besten Spieler ausgewechselt und man schont die Kräfte, so ging man in dieser Partie 90 Minuten lange Vollgas, so machte es auch nichts, dass Wacker Innsbruck binnen fünf Minuten drei Gegentore kassierte und am Ende sogar mit 1:6 verlor.
Der Vater des Aufstiegs
An dieser Stelle nochmal mein wirklich allerhöchster Respekt an die Moral der Mannschaft. Nur mehr die kühnsten Optimisten in meinem Umkreis hatten sich nach der Niederlagenserie noch an einen Aufstiegs-Strohhalm geklammert. Aber weil man sich selber aus der Scheißgasse gezogen hat (wie Kapitän Reifeltshammer bei der Meisterfeier selber sagte), hat man sich den Aufstieg heuer redlich verdient. In den letzten Jahren ist man stets umgefallen, wenn es do-or-die hieß. Heuer ist man an diesem Druck gewachsen und hat sich auch durch Rückschläge zu keinem Zeitpunkt mehr aus dem Konzept bringen lassen.
Ich vergönne den Aufstieg heuer zwei Personen ganz besonders: zum einen dem Finanzvorstand Roland Daxl, der sich federführend für die Fortsetzung der Liga einsetzte und während der letzten Jahre seine ganze Kraft in die SV Ried steckte, auch als es (finanziell) immer enger und enger wurde.
Und zweitens Thomas Reifeltshammer, der seine Mannschaft(en) während der letzten drei Jahre in der 2. Liga stets wie ein echter Leader anführte, heuer durch eine nicht alltägliche Nierenverletzung außer Gefecht gesetzt wurde und dann im Finish sogar noch ein Comeback gab. Für ihn wäre es besonders bitter gewesen, wenn er das Versagen seiner Teamkollegen von der Tribüne aus ansehen hätte müssen. Das explizite Lob an Daxl und Reifeltshammer hätte ich übrigens auch bei einem Nichtaufstieg formuliert.
Auch das Bemühen der Menschen aus der Region (u.a. die Gründung des Vereins „Ried ein Leben lang e.V.“ mit dem Verkauf von Geisterspieltickets) oder das gigantische Spruchband im Stadion („Ganz Ried steht hinter euch“) waren stets ein Beweis für den Zusammenhalt in der SVR-Familie (die wie eine echte Familie öfters mal streitet). An dieser Stelle daher auch nochmal ein Dank an alle Protagonisten: Mannschaft, Trainerteam, Funktionäre, Geschäftsstelle, Vorstand und Sponsoren. Und auch an die treuen Fans – so gut wie niemand hat mWn sein Geld für die Saisondauerkarte zurückgefordert.
Rückkehr in die Bundesliga
Die Weichen für die kommende Saison müssen schnell gestellt werden. Voraussichtlich am 12. August wird zum Trainingsauftakt geladen (knapp 10-14 Tage nach den meisten anderen Bundesligisten). Die Saison 2020/2021 wird bereits am letzten August-Wochenende mit der 1. Runde im ÖFB-Cup eingeläutet. Die Saisonvorbereitung bis zum Meisterschaftsbeginn dauert diesmal nur knapp viereinhalb Wochen lang, am 11. September beginnt nämlich die neue Saison in der Bundesliga.
Glaubt man den Gerüchten in den oberösterreichischen Tageszeitungen, so ist die Ära von Andreas Heraf als Co-Trainer in Ried vorüber. Hier soll es Unstimmigkeiten mit seinem Cheftrainer gegeben haben. Außerdem soll ein Sportchef installiert werden, um Gerald Baumgartner in seiner aktuellen Doppeltätigkeit zu entlasten.
Gerüchteweise sollen die „verlorenen Söhne“ Anel Hadzic (zuletzt bei Videoton in Ungarn) und Samuel Sahin-Radlinger (zuletzt bei Barnsley) vor einem Comeback bei ihrem Heimatclub stehen. Außerdem besteht Interesse an einer Verpflichtung von Marcel Canadi von Amstetten, der mit seinem Freistoßtor gegen die Kärntner den Grundstein für den eigenen Transfer gelegt hatte.
Abgesehen davon sehe ich dringenden Handlungsbedarf auf der Position des Linksverteidigers, diese war nämlich die Schwachstelle in der abgelaufenen Saison. Weder Vojkovic noch Obermüller oder Takougnadi (der die Sache zugegebenermaßen noch am besten machte) haben die Qualität für die Bundesliga.
Auch abgesehen davon muss der Kader an vielen Positionen verbessert werden, sonst erlebt man in der Bundesliga nämlich sein blaues Wunder. Von Vereinen wie RBS, Rapid, LASK oder WAC ist man nämlich derzeit sehr weit entfernt.
Wie man am Beispiel Wattens oder zuvor Innsbruck gesehen hat, ist der Sprung nach oben seit der Ligareform viel schwieriger als früher. Spielten die Aufsteiger früher meistens in der ersten Saison im Oberhaus sogar um die Europacupplätze mit, so ging es für die beiden Tiroler Vereine direkt wieder nach unten. Doch die Situation rund um Mattersburg/Wattens könnte ein kleiner Vorteil im Abstiegskampf werden. Im schlimmsten Fall wissen nämlich weder die Burgenländer noch die Tiroler für einige Wochen, für welche Liga sie planen können.
Budgetplanung mit Unsicherheiten
Insgesamt soll das Budget von € 4 Millionen auf € 7 Millionen aufgestockt werden. Der Löwenanteil daran stammt aus den € 1.8 Millionen an TV-Geldern von sky. Diese TV-Gelder sind nämlich ca. um € 1.8 Millionen höher als man in der semi-professionellen #LigaZwa zur Verfügung hatte. Mit dem um ein Vielfaches höheren Werbewert in der tipico Bundesliga wird es vermutlich auch wieder leichter sein, potenzielle Sponsoren zu lukrieren. Ganz im Gegensatz zur Aussage von ASK-Chef Gruber ist das Industrie-Bundesliga Oberösterreich nämlich sehr wohl in der Lage, zwei Bundesligisten zu stemmen.
COVID-19 und die Folge werden im Fußball-Business jedoch weiterhin eine große Rolle spielen. Wer seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt(e) oder gar Stellen abbauen muss(te), kann Sponsoring in einen Fußballverein firmenintern eigentlich nur schwer vermarkten.
Positiv sei an dieser Stelle erwähnt, dass Guntamatic den Vertrag für die kommende Saison bereits verlängert hat. Mein höchster Respekt an Günther Huemer, der diese Entscheidung sogar schon in der vermutlich schwierigsten Phase der Saison getroffen hatte.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor werden die Zuschauer bzw. Zuschauereinnahmen bleiben. Denn es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen im Herbst in die österreichischen Stadien dürfen. In der 2. Liga wurde sogar schon bekannt gegeben, dass die kommende Saison bis auf weiteres ohne Auswärtsfans stattfinden wird. Sollte sich eine 2. Welle der Pandemie über Österreich ausbreiten, kann es auch schnell wieder zu einer Zwangspause oder zu Spielen ohne Zuschauern kommen.
Persönliche Anmerkungen
Durch den Wiederaufstieg in die Bundesliga kehrt für mich ein Gefühl der Selbstverständlichkeit zurück. Die SVR gehört nämlich in die Bundesliga und wird dort Anfang September (endlich) ihre 21. Saison seit 1995 bestreiten.
Seit dem Abstieg im Mai 2017 habe ich insgesamt 17 Blogartikel mit über 50.000 Wörtern über die SV Ried geschrieben. Manchmal manisch, sehr oft depressiv. Nie beleidigend, aber sehr oft kritisch. Stets auf Fakten basiert, aber trotzdem von Gefühlen geleitet. Habe ich den Glauben an eine Rückkehr in die Bundesliga jemals verloren? Jein. Obwohl ich mich Zweckpessimisten bezeichnen würde, schlummerte tief in mir – entgegen jeglicher Vernunft – doch stets ein Fünkchen Hoffnung. Erst wenn es sich heuer wieder nicht ausgegangen wäre, dann wäre es vermutlich sehr schwierig geworden.
Seit jeher ist mein lateinischer Lieblingsspruch „per aspera ad astra“, was so viel bedeutet wie „Durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“. Nun heißt es den vollen Fokus darauf zu legen, die Sterne nicht gleich wieder verlassen zu müssen. Ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidungsträger aus den mühseligen Jahren gelernt haben und den vollen Fokus auf die Konsolidierung in der Bundesliga legen werden.
p.s.: der Artikel besteht aus exakt 1912 Wörtern.
Fotoquellen (alle Rechte liegen bei den Portalen bzw. den Fotograf*innen, diese werden hier nicht-kommerziell verwendet):
Bengalen in Klagenfurt – (c) Kurier
Ganz Ried Banner – (c) Tips
Guntamatic – (c) OON
Meistertellerübergabe – (c) GEPA/Binder
Beitragsbild der Meisterfeier – (c) GEPA/Scharinger
Gerald Baumgartner – (c) Sky Sport Austria
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!