Okay, ich habe mein Bewertungssystem heuer erneut geändert. Im Gegensatz zum Vorjahr besteht meine Liste diesmal nicht nur aus Serien, welche im Kalenderjahr 2019 ihre Premiere gefeiert haben, sondern auch (wieder) aus Fortsetzungen.

Ich nehme es gleich vorweg, hier eine Auflistung von populären Serien, welche ich (heuer) nicht geschaut habe:

The Americans Catch-22 The Marvelous Mrs. Maisel
The Act The Crown Sex Education
Barry Euphoria YOU
The Boys The Mandalorian When They See Us

Da wir das nun abgeklärt haben, here we go (again):


10. Mindhunter (2. Staffel | Netflix)

Mindhunter

Manche Dinge sollte man am besten nicht herausfinden. Zum Beispiel, dass Jonathan Groff, der Hauptdarsteller aus „Mindhunter“, einer der Hauptcharaktere in „Frozen“ ist (bzw. diesem seine Stimme gibt). Denn diese beiden Rollen verhalten sich nämlich so diametral zueinander wie Homöopathie und echte Medizin. Wie auch immer, nachdem die 1. Staffel mit einem einschneidenden Erlebnis (kein Wortspiel) für den FBI-Agenten Holden Ford geendet hat, setzt die zweite Staffel unmittelbar am Ende des Vorgängers an. Doch nicht nur Agent Ford, sondern auch sein Kollege bzw. Vorgesetzter Bill Tench hat mit persönlichen Problemen rund um seinen Adoptivsohn zu kämpfen, weswegen er den Fokus auf seine Arbeit (und damit auch auf Ford) zunehmend verliert.

Abgesehen davon wird in der 2. Staffel mehr über jenen Serienkiller ans Licht gebracht, welcher während der 1. Staffel schon immer wieder in Anfangs- bzw. Endsequenzen kurz gezeigt wurde. „Mindhunter“ ist nichts für schwache Nerven und man muss stets im Gedächtnis behalten, dass es diese Serientäter wirklich gegeben hat und sie diese Taten wirklich begangen haben und die Aussagen wirklich so gefallen sind. Man merkt bei den Dialogen, dass David Fincher aufgrund seiner Historie rund um „Seven“ und „Zodiac“ auch der bestmögliche Regisseur bzw. Drehbuchautor für diese Serie ist.

09. Chernobyl (Miniserie | HBO/sky)

Chernobyl

Der Preis für die deprimierendste Serie 2019 geht eindeutig an „Chernobyl“. Hier gibt es keinerlei Happy End, sondern nur Verlierer. Die Arbeiter, Feuerwehrleute und Bergarbeiter, welche in den sicheren Tod geschickt werden. Teilweise binnen Stunden, teilweise binnen qualvoller Monate. Die streunenden Hunde, welche aufgrund der Radioaktivität in ihrem Fell gezielt gejagt und erschossen werden. Die Sowjetunion bzw. das heutige Russland, welche den Vorfall bis heute punktuell vertuschen (wollen) bzw. falsche Angaben zu Opfern und erkrankten Personen gemacht haben. Kein Wunder also, dass die Serie in Russland verboten wurde bzw. auf den Index gesetzt wurde.

Wie erwartet hat auch „Chernobyl“ in seiner Kategorie (TV Movie bzw. Miniserie) alle Preise bei den Emmys abgeräumt, welche zu gewinnen waren. Das Ensemble rund Jared Harris, Stellan Skarsgard und Emily Watson agiert stets mit Bedacht, was beim exzellenten Drehbuch von Craig Mazin allerdings auch nicht verwunderlich ist. Die Serie verdeutlicht aber auch vor allem, wie knapp das Desaster an einem Desaster für Gesamt-Europa vorbeigeschrammt ist. Nur dank des Heldenmuts einzelner Personen konnte hier im Jahr 1986 noch (viel) Schlimmeres verhindert werden.

 

08. Russian Doll (1. Staffel | Netflix)

Russian Doll

Amy Poehler („Parks & Recreation“) und Natasha Lyonne („Orange Is The New Black“) haben sich für diese Netflix-Produktion zusammen getan und quasi „Groundhog Day“ als Serie konzipiert. Bei „Russian Doll“ dreht sich alles um eine zynische Millennial-Frau namens Nadia, die eine Party in New York City besucht und am gleichen Abend stirbt. Und am nächsten Abend wieder. Und wieder. Und wieder. Wie auch beim Film mit Bill Murray verändert sich hier der Gemütszustand und die Vorgehensweise der Protagonistin mit fortschreitender Todesanzahl. Sieht sie die Zeitschleife zu Beginn noch als 2. Chance, so ist irgendwann Resignation zu spüren bevor sie dann versucht herauszufinden, wieso sie in dieser Zeitschleife festhängt.

Auch in dieser Serie gibt es einen „Reset-Song“ wie bei „Groundhog Day“. Allerdings handelt es sich dabei nicht etwa auch um „I Got You Babe“ sondern um „Gotta Get Up“ von Harry Nilsson. Die Serie endet jedoch im Gegensatz zum Film mit einem Cliffhanger. Angesichts der Tatsache, dass „Russian Doll“ im Juni für eine 2. Staffel verlängert wurde, ist dies auch gut so. Weil ich die Awards gerne erwähne: Natasha Lyonne wurde für ihre Rolle sowohl für Emmy als auch Golden Globe nominiert.

07. Killing Eve (2. Staffel | BBC America/MGM)

Killing Eve

Ganz hat meine Lieblingsserie des Vorjahres aus der Feder von Phoebe Waller-Bridge (mehr dazu später) ihren Platz an der Sonne nicht verteidigen können. Die zweite Staffel der BBC America Serie (bei uns leider nur im MGM-Kanal von Amazon Video zu sehen) rund um eine Auftragsmörderin und ihrer zwanghaften Beziehung zu einer Kriminalpsychologin hält jedoch ebenfalls viele überraschende Wendungen und unerwartete Szenen parat. Getragen wird die 2. Staffel (im Gegensatz zur 1. Staffel) diesmal ganz klar von Jodie Comer in der Rolle der Villanelle.

Dafür konnte die Liverpoolerin heuer auch ihren ersten Emmy als Hauptdarstellerin in einem Drama gewinnen und ist auch bei den Golden Globes ein heißer Tipp. Ihr Charakter namens Villanelle ist schnell gelangweilt und bei ihren Auftragsmorden ruchlos und dabei verspielt wie ein Kind. Kein Wunder also, dass ihr das Aufkommen einer neuen Konkurrentin am Arbeitsmarkt ein Dorn im Auge ist und sie sich daher nicht nur um das perfide Katz-und-Maus-Spiel mit Kommissarin Eve (Sandra Oh, bekannt aus „Grey’s Anatomy“) kann.

06. Dark (2. Staffel | Netflix)

Dark

Ich habe mir die 1. Staffel von „Dark“ vor einem Jahr nicht angeschaut, weil ich irgendwo vernommen hatte, dass es ein deutscher Abklatsch im Windschatten des Erfolges von „Stranger Things“ sei. Nachdem ich dann heuer beide Staffeln binnen einer Woche gebinged habe, kann ich attestieren, dass dem nicht so ist. „Dark“ ist viel schräger und komplexer als „Stranger Things“. Die Serie bricht alle vorherrschenden Gesetze rund um Zeitreisen und die WTF-Momente werden immer häufiger. Man muss eigentlich ständig eine Liste der Charaktere vor sich liegen haben, damit man weiß, wer das gerade ist. Und wann er gerade ist. Und wie seine/ihre Beziehung zu den anderen Charakteren ist.

Die Produktion (Dialoge, Schnitt, Visuals, Ton etc.) an sich ist mit Sicherheit eine der besten, die je aus unserem Nachbarland gekommen ist, denn man hat nie das Gefühl, dass es sich um eine deutsche Serie handelt (ob dies jetzt negativ gemeint ist, kann jeder für sich selber festlegen). Die Serie war von Beginn an auf drei Staffeln konzipiert, was einerseits schade ist, andererseits auch gut ist, weil man so mit einem durchdachten Ende rechnen kann (looking at you again, Lost).

05. Watchmen (1. Staffel | sky/HBO)

Watchmen

Aus der Feder von Damon Lindelof stammt nicht nur mein geliebtes „Lost“, sondern auch das komplexe „The Leftovers“, welches heuer in vielen Bestenlisten der 2010er-Jahre ganz weit vorne platziert ist. Bei „Watchman“ hätte eigentlich alles passieren können – vom Riesenflop (wie der gleichnamige Kinofilm von Zack Synder aus 2008) bis zum Riesenhit. Im Endeffekt ist es dann die zweite Option geworden, sowohl bei Publikum als auch bei Kritikern.

Eine ausgezeichnete Cast mit gleich drei Oscar-Gewinnern (Regina King als Hauptprotagonistin, Louis Gossett-Jr. als mysteriöser alter Mann sowie Jeremy Irons als verrückter Wissenschaftler) trägt die Story rund um das dystopische Setting eines Amerikas, welches von Robert Redford regiert wird, bei dem Vietnam der 51. Bundesstaat ist und in dem Polizisten in Alabama Masken tragen müssen, um keine Angst vor Terror-Anschlägen von Ku-Klux-Klan-Nachfolgern zu haben. „Watchmen“ ist enorm brutal und teilweise skurril, hat aber jede Menge spannender Wendungen parat hebt sich aber wohltuend von anderen Superhelden-Serien aus dem DC-Universum ab.

04. Unbelievable (Miniserie | Netflix)

Unbelievable

Mit „Unbelievable“ habe ich im Oktober krankheitsbedingt eine Mini-Serie entdeckt, welche heuer zum großen Überraschungserfolg (sowohl bei Publikum als auch Kritikern) wurde. Kaitlyn Dever (eine der beiden Hauptdarstellerinnen in „Booksmart“) spielt dabei eine junge erwachsene (und sozial schwache) Frau, welche gleich zu Beginn von einem maskierten Mann vergewaltigt wird. Weil sie sich bei ihrer Polizeiaussage in Widersprüche verstrickt und die Story allgemein relativ unglaubwürdig klingt, glaubt ihr niemand. Ein Horror-Erlebnis wird durch das Branding als Lügnerin und den daraus resultierenden Folgen noch potenziert.

Neben Dever wird die Cast von Toni Collette („The Sixth Sense“, „Hereditary“) und Merritt Wever ergänzt. Sie spielen die Rollen von zwei unermüdlichen Detectives, die Jahre später aufgrund eines ähnlichen Falles mit dem Serientäter vertraut werden. Manche Szenen in dieser Serie waren für mich (in diesem Falle könne ich sogar schreiben „als Mann“) hart anzusehen bzw. hart zu verkraften, auch weil man vor Ungerechtigkeit oft laut schreien möchte. Nomen est omen, es ist wirklich unglaublich wie sich diese (wahre!) Geschichte entwickelt.

03. Succession (2. Staffel | HBO/sky)

Succession

Einen großen Sprung nach vorne in meiner Liste hat heuer „Succession“ geschafft. Die Satire über einen alternden Medienmogul, der eigentlich aus seinem Imperium abdanken will, aber keines seiner vier Kinder für wirklich fähig genug hält, hat in der zweiten Staffel an Fahrt aufgenommen. Der Serienschöpfer Jesse Armstrong (von dem auch die „Black Mirror“ Episode „The Entire History Of You“ stammt) hat heuer für „Succession“ auch einen Emmy für das beste Drehbuch in einer Drama-Serie gewonnen.

Brian Cox brilliert in seiner Rolle des Rupert Murdoch Logan Roy und ist dabei noch zynischer und hinterhältiger als in der 1. Staffel. Holly Hunter (Oscar-Preisträgerin für „The Piano“) belebt die 2. Staffel als CEO eines verfeindeten Medienkonzerns noch zusätzlich. Gekrönt wird diese Staffel von einer unerwarteten Wendung im Serienfinale, welches ich mir anschließend nochmal anschauen musste, weil man einfach nicht damit rechnen kann. Und das Theme der Serie ist seit heuer mein neuer Klingelton (Anm. den man sowieso nie hört, weil mein iPhone stets auf lautlos geschalten ist).

02. Fleabag (2. Staffel | Amazon Video)

Fleabag

Wie schon bei „Killing Eve“ kurz angemerkt: Phoebe Waller-Bridge ist der Shootingstar des Kalenderjahres 2019. Vorher eigentlich nur Briten oder Insidern bekannt (ihre erste Serie „Crashing“ findet man übrigens auf Netflix), hat die 34-jährige Britin mit der 2. (und letzten) Staffel von „Fleabag“ heuer quasi alle Kritikerpreise eingeheimst. Darunter den Emmy für die beste Comedyserie, die beste Hauptdarstellerin in einer Comedy-Serie und für das beste Drehbuch in einer Comedy-Serie.

Im Sog dieses Erfolgs wurde sie dann auch als Autorin für das Drehbuch des kommenden Bond-Films „No Time To Die“ engagiert. „Fleabag“ hat einen einzigartigen Flow, hervorragende Schauspieler (wie u.a. Oscar-Preisträgerin Olivia Colman als böse Schwiegermutter) und eben ein famoses Writing. Hier hat man das Gefühl, dass jeder Strich und jede Szene einfach perfekt passen. Nebenbei ist „Fleabag“ auch verdammt witzig und berührend, ohne dabei aber auf die Tränendrüse zu drücken. Es ist einerseits schade, dass es keine 3. Staffel mehr geben wird. Andererseits aber kann PWB dadurch auch das eigene (Serien-)Denkmal nicht zerstören.

01. Mr. Robot (4. Staffel | USA/Amazon Video)

Mr. Robot

Bis zum 23. Dezember war die 4. und gleichzeitig letzte Staffel von Mr. Robot auf Platz 2 meiner Shortlist einzementiert. Doch mit einem enorm befriedigenden Serienfinale (looking at you again, Lost) hat es die Serie von Sam Esmail doch noch auf den Spitzenplatz geschafft. Mr. Robot ist keine Serie über Hacker (obwohl es keine realistischere Serie über Hacks und die von ihnen verwendeten Tools gibt). Mr. Robot ist eine Serie über die menschliche Psyche. Mit Ausnahme von Black Mirror zeichnet auch kaum eine andere Serie ein derart schonungsloses Bild der Gegenwart und nahen Zukunft. Wer die Serie 2015 begonnen hat und während der äußerst komplexen 2. Staffel aufgehört hat, sollte schleunigst wieder damit beginnen.

Die Folge 407 – Proxy Authentication Required ist ein Meilenstein der modernen Seriengeschichte. Diese Folge hält bei IMDb mit knapp 13.000 Votes bei einer Durchschnittswertung von 10.0 und nichts, aber rein gar nichts hat mich im Kalenderjahr 2019 in einem Film oder einer Serie mehr bewegt als diese Folge, die wie ein Kammerspiel aufgebaut ist und uns etwas Neues über den Charakter des Mr. Robot lehrt. Rami Malek wurde dank Mr. Robot zum Star und Oscargewinner (für Bohemian Rhapsody), die Karriere des Christian Slater wurde wiederbelebt und ich bin jetzt schon gespannt, welches Projekt Sam Esmail als nächstes in Angriff nimmt.

Was habe ich sonst geschaut?

 

The Good

Knapp an einem Platz auf der Liste vorbeigeschrammt sind das herzerwärmende After Life von Ricky Gervais sowie Lodge 49 mit Wyatt Russell als optimistischem Verlierer. BoJack Horseman bleibt die beste Animationsserie und wird mit der Beendingung der Serie in 2020 sicher einen Platz auf meiner Bestenliste finden. Die neuen Staffeln von Bosch und Goliath waren spannend, allerdings sollte man diese Serien aus meiner Sicht auch bald einmal beenden. Billions konnte im Vergleich zur letzten Staffel wieder zusetzen. Ich weiß bis jetzt nicht, was ich von The Politician halten soll. Exzellente Momente und klassische Ryan-Murphy-Scripts halten sich hier die Waage.

The Bad

Etwas enttäuschend war die letzte Staffel von Unbreakable Kimmy Schmidt. Sehr enttäuschend war die letzte Staffel von Arrested Development. Gelangweilt habe ich mich bei der zweiten Staffel von Jack Ryan sowie bei Good Omens, die ich jeweils nicht fertig geschaut habe. Bei Silicon Valley bin ich froh, dass aktuell die letzten Folgen der letzten Staffel laufen, diese Serie konnte nach einem enorm starken Beginn einfach nicht mehr zulegen.

The Ugly

Die letzte Staffel von The Affair habe ich nach zwei Folgen abgebrochen. Habe letztes Jahr geschrieben, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie diese funktionieren soll. Tut sie nicht. Die letzte Staffel von Game of Thrones befindet sich (wie ihr bemerkt habt) auch nicht nicht auf meiner Bestenliste. DB Weiss & David Benioff haben ein Exempel für die Ewigkeit statuiert, wie ein schlechtes Drehbuch die Legende einer ansonsten herausragenden Serie (SchauspielerInnen, Kostüme, Musik, Special Effects etc.) beschädigen kann. Auch Black Mirror hat die mit Abstand schlechteste Staffel der Seriengeschichte abgeliefert.

 

Zum siebten Mal küre ich knapp vor Jahreswechsel meine zehn Lieblingsfilme des abgelaufenen Kinojahres. Hier wie immer als Einleitung meine bisherigen Lieblingsfilme (der Jahre 2013 bis 2018):

2018 Bohemian Rhapsody
2017 Manchester By The Sea
2016 Arrival
2015 Inside Out
2014 Whiplash
2013 Drive

Gleich vorweg: Nicht nur Kino ändert sich. Sondern auch wie Kino konsumiert wird. Zum ersten Mal in der Geschichte meines Blogs zitiere ich mich selber. Und zwar zitiere ich meinen Twitter-Thread vom 9. Dezember, welcher sich auf einige Filme aus der nachfolgenden Liste bezieht:

Ich hab mal die #GoldenGlobes Nominierungen für CBS, ABC, NBC und FOX zusammenaddiert: 0 (null). Lineare TV-Stationen sind im Bezug auf die #AwardsSeason irrelevant geworden und dies wurde heute erneut bestätigt. Ist aber auch irgendwo logisch. Im „normalen“ TV darf nicht geflucht werden, es darf keine nackte Haut gezeigt werden, es darf keinerlei Konsum von Drogen gezeigt werden, es darf keine Gewalt ab 18 gezeigt werden.  Streaming hat die TV-Welt komplett verändert. Vor 10 Jahren wäre z.B. eine TV-Serie mit einer Cast von Meryl Streep, Nicole Kidman, Reese Witherspoon und Laura Dern utopisch gewesen. Fernsehen war verpönt, Kino the real deal. Auch hier sind die Welten dank neuer künstlerischer Freiheit untereinander verschwommen.

Mit „The Irishman“ und „Marriage Story“ hat Netflix heuer die nächste Ära eingeleitet. Nun verschwimmen Kino und TV nicht nur hinsichtlich Cast, sondern auch hinsichtlich Distribution. Zwei potentielle Oscar-Gewinner im eigenen Wohnzimmer, keine zwei Wochen nach Kinostart. Kino wurde schon oft für tot erklärt. Das wird nicht passieren, so lange es Marvel, Star Wars und andere Filme mit Event-Charakter gibt. Allerdings wird das fremdsprachige Kino und das Indie-Kino stark von Streaming Services profitieren. Und davon profitieren auch die Zuschauer.

Wie immer eine kurze Erklärung zum Modus: ich inkludiere wie immer alle Filme, welche ich zwischen 1.1. und (im Fall von heuer) 29.12. gesehen habe, egal ob diese schon Ende 2018 in den amerikanischen Kinos angelaufen sind. Der Name in Klammer ist die/der RegisseurIn des Films, die erste Zahl ist der aktuelle IMDb-Score (Fan-Bewertung von 0.0 bis 10.0) und die zweite Ziffer ist der Metascore (durchschnittlicher Kritikerwert der sich von 0-100 erstreckt) des jeweiligen Films.

Die Synopsis zu jedem Film lasse ich heuer weg – hier gibt es genügend Seiten. Kurzer Ausblick: es befinden sich diesmal u.a. zwei weibliche Regisseure unter den Top10, ein nahezu unbekanntes Brüderpaar, ein Indie-Darling, ein Regisseur der den Welterfolg seines Erstlingswerkes bestätigen musste, der Regisseur einer der erfolgreichsten Comedy-Reihen sowie zwei Großmeister am Regiestuhl.

 


10. The Farewell (Lulu Wang | 7.8 | 89)

The Farewell

Darsteller: Awkwafina, Shuzhen Zhao, Tzi Ma, Diana Lin, Jim Liu, Gil Perez-Abraham

Einschätzung: Kino aus Asien wurde im Westen früher oft mit Martial Arts gleichgestellt. Mit Bruce Lee und später Jackie Chan. Doch seit den 90er-Jahren und Filmen wie „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ ist die Expansion des künstlerischen asiatischen Kinos kaum zu stoppen. Zuletzt waren dies beispielsweise der Überraschungserfolg „Crazy Rich Asians“ letztes Jahr oder der hochgelobte „Parasite“ (welchen ich leider noch nicht sehen konnte) in diesem Jahr.

„The Farewell“ handelt von einer chinesischen Frau (Awkwafina), die in den USA aufgewachsen ist und zu ihren Wurzeln zurückkehren muss, weil ihre Großmutter todkrank ist. Dies wissen auch alle – bis auf die Großmutter selber. Wie man sich denken kann, dreht sich in dieser Tragikomödie vieles um die Unterschiede verschiedener Kulturen und natürlich auch um die Balance von Moderne und Tradition. „The Farewell“ regt zum Nachdenken über die eigene Familie an, ist bittersüß und berührend, drückt jedoch auch nicht zu stark auf die Tränendrüse.

09. Booksmart (Olivia Wilde | 7.2 | 84)

Booksmart

Darsteller: Beanie Feldstein, Kaitlyn Dever, Jason Sudeikis, Lisa Kudrow, Will Forte

Einschätzung: „Booksmart“ ist keine Teenie-Komödie im klassischen Sinn, sondern ein Film über (lebenslange) Freundschaft und das Erwachsenwerden. In gewisser Hinsicht also eine Hommage an die 80er-Filme rund um das Brat Pack, dabei allerdings deutlich weniger banal. Olivia Wilde (als Schauspielerin den meisten als „13“ aus „House bekannt) hat in ihrem Erstlingswerk als Regisseurin ihren Ehemann (Sudeikis), dessen Freund (Forte) und eine ihre besten Freundinnen (Kudrow) versammelt und erzählt die Geschichte von zwei Streberinnen, die an ihrem letzten Schultag realisieren, dass sie in ihrem Leben noch nie auf den Putz gehauen haben.

„Booksmart“ ist nicht so lustig oder abgefahren wie etwa „Superbad“, ist aber mit einem Mini-Budget von nur $6.000.000 trotzdem einer der großen Überraschungserfolge des heurigen Kinojahres. Sowohl für Kaitlyn Dever (Golden-Globe-Nominierung für „Unbelievable“) als auch Beanie Feldstein (Golden-Globe-Nominierung für diesen Film) bedeutete dieser Indie-Film den Durchbruch in Hollywood. Für einen kleinen Skandal sorgten im Herbst einige US-Fluglinien, die bei der Flugzeug-Version des Filmes eine lesbische Liebesszene einfach und kommentarlos herausgeschnitten hatten.

08. Us (Jordan Peele | 6.9 | 81)

Us Movie

Darsteller: Lupita Nyong’o, Winston Duke, Elisabeth Moss, Tim Heidecker, Shahadi Wright Joseph, Evan Alex

Einschätzung: Das Horrorkino der 90er und 00er-Jahre wurde weitestgehend von Slasher- oder Gore-Filmen dominiert (u.a. Scream, Final Destination, Saw). Doch seit wenigen Jahren gibt es sowas wie eine Renaissance des „intelligenten“ Horrorfilms. Es geht nicht mehr darum, Menschen so brutal oder grausam oder einfallsreich wie möglich umzubringen. Viel mehr stehen nun die Charaktere und die Charakterentwicklung der düsteren Charaktere im Vordergrund. Jordan Peele hat es mit seinem Erstlingswerk „Get Out“ vollbracht, einen Film zu erschaffen der gleichermaßen Horrorfilm und Milieaustudie ist. Dafür wurde er von der Academy auch mit dem Oscar für das Beste Originaldrehbuch ausgezeichnet.

Daher stand Peele bei „Us“ unter besonderem Druck. Diesem hat er meiner Meinung nach gut standgehalten. Vor allem der Soundtrack liegt mir noch immer im Ohr. Und auch „Good Vibrations“ von den Beach Boys werde ich nie wieder so hören können wie zuvor. Die Handlung selber ist etwas bizarr und verläuft sich teilweise in Ungereimtheiten, darüber kann man aber im Sinne der Grundidee hinweg sehen. Und spätestens mit der überraschenden Wende am Ende des Filmes geht man mit einem „Wow“-Gefühl aus dem Kinosaal.

07. Avengers: Endgame (Anthony & Joe Russo | 8.5 | 78)

Avengers Endgame

Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Evans, Chris Hemsworth, Mark Ruffalo, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Paul Rudd, Chris Pratt und noch 100 andere Superstars

Einschätzung: Nachdem es über die Jahre hinweg kein einziger Film aus der Avengers-Reihe in meine Liste geschafft hat, steht „Endgame“ stellvertretend für diese Marvel-Serie, welche nahezu alle Kassenrekorde sprengen konnte und einzelne Schauspieler wie Chris Pratt oder Chris Evans zu Superstars machte. Bis auf einzelne Ausnahmen sind alle diese Filme auch äußerst unterhaltsam und kurzweilig, also perfekt für den Popcorn-Kinogänger der unterhalten werden will und kein Augenmerk auf künstlerische Aspekte (wenn ich Filme wie „Roma“ als Maßstab verwende) legt. Dies ist auch keineswegs eine negative Aussage – Kino ist für Filme wie jene rund um die Marvel-Heroen gemacht, welche im letzten Jahrzehnt die herkömmlichen Action-Stars (wie früher etwa Schwarzenegger, Stallone, Willis oder Van Damme) abgelöst haben. CGI sei Dank.

Und weil Marvel eine Gelddruckmaschine ist, steht neben diversen Serien auf Disney+ auch bereits das nächste Jahrzehnt an Filmen bereit, wobei die Geschichte über Black Widow (Scarlett Johansson) im Frühjahr den Beginn machen wird. Später im Jahr 2020 steigen dann auch Angelina Jolie, Kit Harington und Richard Madden in „The Eternals“ in das MCU (Marvel Cinematic Universe) ein. Außerdem stehen die Fortsetzungen von Doctor Strange sowie Black Panthers bereits in den Startlöchern.

06. Ford v Ferrari (James Mangold | 8.3 | 81)

Ford v Ferrari

Darsteller: Christian Bale, Matt Damon, Jon Bernthal, Catriona Balfe, Josh Lucas, Noah Jupe

Einschätzung: Ich bin grundsätzlich kein Rennsport-Fan. Mir sind Autos und Motorräder ziemlich egal. Das letzte Formel 1-Rennen welches ich mir angeschaut habe, ist schon Jahre her. Ich bin auch der Meinung, dass Rennsport früher spannender war. Dies hängt mit Sicherheit mit dem Aspekt der Gefahr zusammen, aber primär weil die Rennfahrer früher noch echte Charaktere waren und keine austauschbaren Milchbubis wie heute. Doch genug über meine angespannte Beziehung mit Autos und dem Rennsport, „Ford v Ferrari“ bzw. „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“ (Anm. – bei diesem deutschen Titel durfte sich mal wieder ein Übersetzer austoben) ist für mich auch nicht primär ein Rennsportfilm, sondern eine Charakterstudie.

Und es gibt im 21. Jahrhundert kaum bessere Schauspieler als Christian Bale, der sich auf jeden seiner Filme minutiös vorbereitet (u.a. „Vice“, „The Machinist“ oder „The Fighter“). So auch hier in seiner Rolle des Ken Miles, für die er bereits für Golden Globe und SAG-Award nominiert wurde. Im Gegensatz zum Vorjahr (als er für „Vice“ Topfavorit neben Rami Malek war) dürfte er jedoch heuer keine großen Chancen auf den Gewinn haben, wenn man den Buchmachern glaubt. Wie auch immer, „Ford v Ferrari“ ist ein Film über Pioniere, über Menschen die an sich glauben und das Unmögliche möglich machen. Insofern lasse ich den Subtitel „Gegen jede Chance“ ausnahmsweise durchgehen.

05. The Irishman (Martin Scorsese | 8.1 | 94)

The Irishman

Darsteller: Robert De Niro, Joe Pesci, Al Pacino, Harvey Keitel, Ray Romano, Bobby Cannavale, Anna Paquin

Einschätzung: „The Irishman“ war für mich Enttäuschung auf höchstem Niveau. Es handelt sich dabei sicher nicht um den besten Film von Martin Scorsese. Das ist bei einem Repertoire, welches u.a. „Goodfellas“, „Taxi Driver“, „Raging Bull“ oder „The Departed“ umfasst, auch keineswegs überraschend. Mit einer Spieldauer von knapp dreieinhalb Stunden ist der Film über den Aufstieg eines Handlangers in der New Yorker Mafia einfach um mindestens eine Stunde zu lange. Gerade in der letzten Stunde passiert nicht mehr wirklich viel und man hat öfters das Gefühl, Scorsese will seinem treuen Gefolge rund um De Niro, Pesci, Keitel usw. einfach nochmal eine letzte gemeinsame Vorstellung geben.

Weil wir gerade beim Alter sind: auch hier komme ich nicht darüber hinweg, das Wort „CGI“ (Computed Generated Imagery) zu schreiben. Es ist fast schon beängstigend, wenn in einer Rückblende auf einmal ein junger De Niro am Tisch sitzt und nicht etwa ein junger Schauspieler, der De Niro ähnelt, so wie das bis in die 2000er-Jahre der Fall war. Doch genug der Kritik, das Ensemble an sich spielt wenig überraschend herausragend. Gerade Joe Pesci, der nochmal aus der wohlverdienten Pension gelockt werden konnte, spielt in Höchstform und kann sich berechtigte Chancen auf seinen zweiten Oscar ausrechnen.

04. Marriage Story (Noah Baumbach | 8.2 | 93)

Marriage Story

Darsteller: Scarlett Johansson, Adam Driver, Laura Dern, Alan Alda, Wallace Shawn

Einschätzung: Kaum ein Film wurde heuer mehr gehyped als „Marriage Story“. Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach ist eine Art Ikone des Indie-Films, als Regisseur verantwortlich für „The Squid And The Whale“ „Frances Ha“, „Mistress America“ sowie als Drehbuch-Autor auch für die Wes-Anderson-Filme „The Life Aquatic With Steve Zizzou“ sowie „The Fantastic Mr. Fox“. Nebenbei ist er mit Greta Gerwig verheiratet, der weiblichen Ikone des Indie-Films („Lady Bird“, „Little Women“).

Wer hier also Action oder Effekte (oder CGI) erwartet, wird gnadenlos enttäuscht werden. Der Film ist eine Charakterstudie über zwei Menschen, die sich trennen aber zum Wohle des gemeinsamen Sohnes trotzdem irgendwie zusammen bleiben. Und sich eigentlich noch immer lieben. Aber größtenteils nur mehr an die negativen Charakterzüge des Gegenübers denken können, teils auch aufgrund ihrer äußeren Einflüsse. Sowohl Scarlett Johansson als auch Adam Driver liefern jeweils die beste Arbeit ihrer Karrieren ab und gelten jeweils als sichere Kandidaten für eine Oscar-Nominierung.

03. Joker (Todd Phillips | 8.7 | 59)

Joker

Darsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen

Einschätzung: Wie es die Erzählung beschreibt, hatte Jared Leno (Oscar-Gewinner als Bester Nebendarsteller für „Dallas Buyer’s Club“) bis kurz vor Beginn der Dreharbeiten versucht, die neue Joker-Verfilmung zu verhindern. Der Joker aus „Suicide Squad“ hatte nämlich (wie Harley Quinn) auf einen Standalone-Film in der Rolle des diabolischen Schurken gehofft. Diese ist seit heuer aber definitiv vom Tisch, außerdem ist er vermutlich in einer Liste der besten Joker-Mimen auch nur auf Platz 4 nach Jack Nicholson, Heath Ledger und nun Joaquin Phoenix. Der kleine Bruder von River Phoenix war schon zweimal Mitfavorit auf einen Oscar (als tyrannischer Kaiser in „Gladiator“ sowie als Johnny Cash in „Walk The Line“), wurde aber jeweils im Endeffekt übergangen.

Damit wird heuer (bzw. Anfang nächsten Jahres) allerdings Schluss sein. Für seine Darstellung des Arthur Fleck ist Phoenix aktuell haushoher Favorit bei den Buchmachern. Sollte er den Golden Globe und vor allem den SAG-Award gewinnen, dann wird seine Quote vermutlich auf 1.01 sinken. Ich persönlich hatte es nicht für möglich gehalten, dass ausgerechnet Todd Phillips (der Regisseur der „Hangover“-Trilogie) es schafft, den menschlichsten Joker auf die Leinwand zu bringen, mit dem man anfangs mitfühlt und sogar versteht, wieso er zum bekannt psychopathisch-skrupellosen Superschurken wird. „Joker“ hat es auch geschafft, mehr als $1.000.000.000 einzuspielen und ist damit der erfolgreichste Film aller Zeiten ohne Jugendfreigabe. Kein Wunder also, dass ein Konzept für Teil 2 bereits auf dem Tisch liegt.

02. Uncut Gems  (Benny & Josh Safdie | 8.1 | 89)

Uncut Gems

Darsteller: Adam Sandler, Julia Fox, Kevin Garnett, Idina Menzel, LaKeith Stanfield, Eric Bogosian

Einschätzung: In „Uncut Gems“ (ungeschliffene Edelsteine) liefert Adam Sandler (ja, der Adam Sandler) die beste schauspielerische Leistung seiner Karriere und darf aufgrund der exzellenten Kritiken sogar mit der ersten Oscar-Nominierung seiner Karriere spekulieren. Dies hätte nach Katastrophenfilmen wie „Jack & Jill“ oder „Pixels“ niemand mehr für möglich gehalten. Allerdings hat der SNL-Alumnus auch schon sehr solide schauspielerische Leistungen geliefert, etwa in „Funny People“, „Punch Drunk Love“ oder „The Meyerowitz Stories“.

Wie auch immer, im Film der relativ unbekannten Safdie-Brüder (welche das Drehbuch vor knapp zehn Jahren geschrieben hatten) brilliert der Mann mit dem schlechten Kleidungsgeschmack als wettsüchtiger New Yorker Diamantenhändler im Jahr 2012. Dieser hat einen Edelstein aus Afrika illegal erworben und will ihn nun für $1.000.000 versteigern. Dieses Geld hat er auch dringend notwendig, da er seinem Schwager vielen anderen zwielichtigen Gestalten ebenfalls viel Geld schuldet. „Uncut Gems“ ist ein Film, bei dem man ständig auf den Rand des Kinositzes rutscht, weil er überhaupt keine Ruhephasen hat und stets dem intensiven Aktionismus des Hauptakteurs folgt, der seine Fehlentscheidungen mit neuen Fehlentscheidungen aus der Welt schaffen will. Man will während des Films öfters „tu das nicht“ schreien, aber vergebens, denn die Sucht des Protagonisten ist stets stärker als die Rationalität.

01. Once Upon A Time In Hollywood
(Quentin Tarantino | 7.8 | 83)

Once Upon A Time In Hollywood

Darsteller: Leonardo Di Caprio, Brad Bitt, Margot Robbie, Margaret Qualley, Al Pacino, Emile Hirsch, Luke Perry, Damian Lewis

Einschätzung: Mit „Once Upon A Time In Hollywood“ hat Quentin Tarantino in seinem neunten (und damit nach eigener Aussage vorletzten Film) dem Hollywood seiner frühen Jugend ein Denkmal gesetzt. So wurden während der Dreharbeiten u.a. auch ganze Teile des Hollywood Boulevards gesperrt um die späten 60er-Jahre so realistisch wie möglich (ohne die Zuhilfenahme von CGI) wiederauferstehen zu lassen. Ab und zu sind die Schauspieler dadurch auch nur Co-Stars neben der nostalgischen Kulisse und dem wie immer exzellenten Soundtrack. Doch wenn einmal keine szenischen Kulissen im Fokus stehen, ist es ein Genuss den beiden Superstars Di Caprio und Pitt in ihrer jeweils zweiten Zusammenarbeit mit Tarantino (nach „Django Unchained“ bzw. „Inglourious Basterds“) bei der Arbeit zuzuschauen. Tarantino spielt auch bewusst mit den historischen Kenntnissen der Zuschauer rund um die Manson-Morde und die daraus (zumindest bei mir) resultierende Furcht vor dem Filmende.

Bei Publikum und Zuschauer gleichermaßen erfolgreich, wird der Film vermutlich 8-10 Oscarnominierungen einheimsen können, ohne dabei allerdings großer Favorit zu sein. Lediglich der Oscar für das Beste Produktionsdesign scheint (verdientermaßen) schon in der Tasche zu sein. Es gibt nur zwei Regisseure von denen ich jeden Film gesehen habe – der eine ist Christopher Nolan (dessen „Tenet“ wohl Topfavorit für meine Nummer 1 des Jahres 2020 ist) und der andere ist eben Quentin Tarantino. Weil beide Regisseure moderne Geschichtenerzähler sind und deren Geschichten bis zum Schluss fesseln und im Normalfall auch unerwartete Wendungen mit sich bringen.

Ausblick auf 2020

Am Freitag startet „Knives Out“ in den heimischen Kinos, ein klassischer „whodunit“-Film aus der Feder von Rian Johnson (Star Wars VIII). In drei Wochen folgt dann Sam Mendes‘ (der sich ab 2020 „Sir“ nennen darf) 1917 (mit Benedict Cumberbatch, Colin Firth, Richard Madden und Andrew Scott) in den heimischen Kinos, ein Geheimfavorit bei den Oscars.

Wie bereits angedeutet, kann ich den neuen Film von Christopher Nolan („Tenet„) kaum erwarten, der wie zuletzt „Dunkirk“ auch einen Starttermin im Sommer bekommt. Auch der neue James Bond Film mit dem Titel „No Time To Die“ (der letzte von Daniel Craig in der Rolle des 007) hat das Potential zum Kassenschlager.

Für die Kinder und Junggebliebenen kommen bereits im Jänner die Verfilmungen von „Dolittle“ (mit Robert Downey Jr. als Dr. Dolittle) und „Sonic The Hedgehog“ (mit Jim Carrey als Bösewicht) in die Kinos. Disney kontert mit der Realverfilmung von „Mulan“ sowie den bereits erwähnten „Black Widow“ und „The Eternals“ aus dem Hause Marvel. Und sicherlich freuen kann man sich auch auf den neuen Pixar-Film mit dem Titel „Soul“.

Weitere Fortsetzungen gibt es von „Wonder Woman“, „Fast & Furious“ und den „Minions“. Knapp 34 Jahre nach dem Kinostart des ersten Filmes kommt im Sommer auch „Top Gun 2“ in die Kinos. 30 Jahre sind es bei „Ghostbusters 3“ (mit dem Titel „Afterlife“). 29 Jahre beim dritten Teil von „Bill & Ted“, was eigentlich nur fantastisch oder katastrophal werden kann. Dagegen sind die 17 Jahre zwischen „Bad Boys II“ und „Bad Boys III“ schon fast lächerlich wenig. Highlight am Jahresende könnte dann die Neuverfilmung von „Dune“ von Denis Villeneuve werden.

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Es ist mittlerweile auf den Tag genau ein halbes Jahr her, dass ich zum letzten Mal über die aktuelle Lage der Gefühle bei der SV Ried geschrieben habe. Warum ich so lange nichts mehr geschrieben habe? Weil ich den schlechten Saisonstart (mit nur zwei Siegen aus fünf Spielen) nicht überbewerten oder auseinander nehmen wollte.

Nach dem Turnaround im September habe ich dann weiterhin von der Veröffentlichung eines neuen Artikels Abstand genommen, weil ich die Siegesserie der SVR auf keinen Fall jinxen wollte. Daher ist der Beginn der dreimonatigen Winterpause nun der perfekte Zeitpunkt für einen umfassenden Rückblick auf die Hinrunde der 2. Liga.

(Kurzer) Rückblick auf das Frühjahr

Bevor ich mich vollständig auf die Saison 2019/2020 konzentriere: wer gerne an bessere Zeiten zurück denkt, kann natürlich nach wie vor einen Blick auf mein persönliches Team der Dekade werfen, welches ich vergangene Woche veröffentlicht habe.

In medias res: keine Mannschaft war 2019 punktemäßig auch nur annähernd so erfolgreich wie die SV Ried. Mit einem Vorsprung von 12 Punkten auf Klagenfurt und 23 (!) Punkten auf Lustenau belegt man in der Jahrestabelle den unangefochtenen 1. Platz. Ein Punkteschnitt von 2.35 über ein Kalenderjahr hinweg ist in der jüngeren Geschichte der zweithöchsten Spielklasse unerreicht.

Die Admira in 2010 (79 Punkte in 36 Spielen = 2.19 Schnitt), der LASK in 2006 (78/35 = 2.22) Altach in 2013 (76/36 = 2.11) sowie erneut der LASK in 2016 (76/37 = 2.05) holten zwar jeweils mehr Punkte, benötigten dafür allerdings deutlich mehr Spiele. Diesen Vereinen wurden übrigens der WAC, Altach, Grödig sowie St. Pölten zum Verhängnis.

Jahrestabelle 2. Liga

(Daten von transfermarkt.at)

Daher ist diese Jahrestabelle vermutlich die grausam-schönste Tabelle im österreichischen Fußball. Denn auch im zweiten Versuch hat die SVR den Wiederaufstieg in die Bundesliga nicht geschafft. Die sechs Punkte Rückstand auf Wattens nach der Herbstsaison 2018 konnten im Frühjahr zwar relativ schnell aufgeholt werden. Allerdings musste man die Tiroler drei Spieltage vor Saisonende dann doch noch vorbei ziehen lassen. Immerhin wurde die Mannschaft nach einem Frühjahr ohne Niederlage (10-5-0) im Gegensatz zur Vorsaison von den Fans mit einem guten Gefühl in die nachfolgende Saison verabschiedet.

Rückblick auf die Herbstsaison

Die Vorbereitung verlief im Bezug auf Testspielergebnisse alles andere als vielversprechend. Nach Siegen gegen Gurten (RLM) und Györ (2. Liga Ungarn) kam man gegen 1860 München und Union Berlin jeweils unter die Räder. Vor allem die Effizienz vor dem gegnerischen Tor war beim 0:3 gegen die Löwen katastrophal. Beim 0:4 gegen Union Berlin war man im Gegensatz dazu ziemlich chancenlos. Die Köpenicker haben in der aktuellen Bundesligasaison in Deutschland allerdings sowohl den BVB als auch den aktuellen Tabellenführer Mönchengladbach geschlagen und spielen (nicht nur wortwörtlich) in einer anderen Liga.

Das 4:0 in der ersten Cuprunde beim Regionalligisten aus Bruck an der Leitha war nicht so souverän wie das Ergebnis dies ausdrückt. Die Burgenländer hatten vor dem 1:0 durch Kerhe selber eine Riesenchance auf den Führungstreffer und vergaben in der Nachspielzeit einen Handelfmeter. Vor allem in der 2. Halbzeit merkte man jedoch den Klassenunterschied sowie den unterschiedlichen Stand in der Vorbereitung und so zog man letztendlich souverän in die 2. Cuprunde ein.

Ein Fehlstart zerstört die Aufbruchstimmung

Am 1. Spieltag der HPYBET 2. Liga bekam man durch Losfee ausgerechnet ein Heimspiel gegen Austria Klagenfurt zugeteilt. Ausgerechnet deswegen, weil die Kärntner wenige Wochen zuvor durch ein 1:1 in der josko ARENA ultimativ den Titel gekostet hatten. Die Klagenfurter hatten sich ihrerseits nach dem Einstieg eines Investors eine gute Rolle im Titelrennen ausgerechnet. Nach einer ereignislosen (bzw. geradezu blutleeren) ersten Halbzeit fiel die SVR-Defensive nach gut einer Stunde komplett auseinander. Binnen weniger Minuten hieß es 0:3 und die Fassungslosigkeit war den 2.700 Besuchern in der Arena geradezu ins Gesicht geschrieben.

Nach dem Schlusspfiff (Takougnadi hatte mit einem Freistoß in der Nachspielzeit noch für den Ehrentreffer zum 1:3 gesorgt) brachen auf den Rängen die Dämme. Vorfreude und Aufbruchstimmung waren in Windeseile weggewischt. Die Spieler mussten sich derbste Beschimpfungen von der West gefallen lassen. Für die Neuverpflichtungen und Außenstehende war diese Reaktion der Fans vielleicht unverständlich oder überzogen, war es doch die erste Niederlage im Kalenderjahr 2019. Doch der erneute Stolperstart (am 1. Spieltag konnte man zuletzt in der Saison 2014/2015 (!!!) gewinnen) war vor allem aufgrund des mangelhaften Einsatzes der Spieler auf dem Feld wie ein Dolchstoß in die geplagte Rieder Fanseele.

Aufgrund dieses Resultats (und des medialen Echos rundherum) ging es in der 2. Saisonpartie schon um relativ viel. Mit einer Niederlage beim vermeintlich größten Gegner um den Aufstieg aus Lustenau hätte der Rückstand auf Klagenfurt und die Vorarlberger nach zwei Runden schon jeweils sechs Punkte betragen. Durch ein 1:1 Unentschieden (bei dem ausgerechnet Ex-Kicker Mayer das 1:0 besorgte und anschließend provokant in Richtung Rieder Ersatzbank jubelte) glätteten sich jedoch die Wogen, auch weil Klagenfurt daheim nicht über ein 4:4 gegen Liefering hinaus kam.

Zweites Heimspiel, zweite Niederlage

Nach zwei positiven Resultaten (ein 4:1 gegen defensiv anfällige Amstettner sowie ein glückliches 1:0 in Lafnitz durch ein Zaubertor von Jefté) stand am 5. Spieltag der Knaller schlechthin an. Im Duell mit dem GAK hätte sich die SV Ried (vorübergehend) an die Tabellenspitze setzen können. Doch nach einem frühen (und abseitsverdächtigen) 1:0 von Jefté kam die Mannschaft äußerst unkonzentriert aus der Kabine, das schnelle 1:1 der Rotjacken war die direkte Konsequenz.

Letztendlich ging auch das zweite Heimspiel der Saison verloren, weil der Österreichische Meister aus 2004 durch einen fragwürdigen Elfer knapp vor Spielende noch den 2:1 Siegtreffer erzielen konnte. So gut die Leistung in der 1. Halbzeit war, so unerklärlich schlecht war sie in der 2. Halbzeit. Nach fünf Spielen fand sich die Mannschaft daher nur auf dem 9. Tabellenplatz wieder.

Tabelle 5. Spieltag

(Tabelle via weltfussball.at)

Beim 3:2 in Kapfenberg am nachfolgenden Spieltag gab es trotz eines Sieges viel Grund zum Ärgernis. Denn nach einer 2:0 Führung gegen die Obersteirer musste man (erneut) rund um die Stundenmarke zwei schnelle Gegentore hinnehmen. Ultimativ konnte man dieses Match durch ein Tor von Canillas noch gewinnen – allerdings hatte der schwache Schiedsrichter an diesem Tag bei zwei klaren Elfmetersituationen für Kapfenberg beide Augen zugedrückt.

Die jedoch schwächste Saisonleistung lieferte man 7. Spieltag bei den Young Violets ab. Die zweite Mannschaft der Austria Wien war bis zu diesem Spiel punktelos am letzten Tabellenplatz gelegen und überstand nahezu mühelos knapp 70 Minuten mit einem Mann weniger (Prokop hatte bereits nach 24 Minuten G/R gesehen) und so ende die Partie 0:0. Ein 3:3 von Klagenfurt gegen Lustenau sorgte jedoch auch nach diesem Spieltag dafür, dass die Schlagdistanz zur Tabellenspitze weiterhin nur vier Punkte betrug.

Mit Acquah fließt das Rieder Spiel

Vor dem Duell mit den OÖ Juniors am 8. Spieltag nahm Trainer Baumgartner die bisher (vielleicht) saisonentscheidende Veränderung an der Stammelf vor. Reuben Acquah war im Sommer vom LASK gekommen. Der Ghanaer war im Frühjahr an Hartberg verliehen, kam dort jedoch nur zu einem Kurzeinsatz in der Bundesliga.

Ich selber durfte ihn zum ersten Mal beim Testspiel gegen Györ in Enzenkirchen beobachten. Der 23-jährige machte als Bindeglied zwischen Defensive und Mittelfeld einen souveränen Job. Auch beim 0:3 gegen 1860 München war er nach seiner Einwechslung einer der auffälligsten Spieler am Platz. Und dennoch kam er im ersten Saisonviertel nur zu einem siebenminütigen Kurzeinsatz gegen Amstetten.

Um die Pointe vorweg zu nehmen: seit Acquah in der Startelf steht, gab es in neun Spielen ebenso viele Siege. Der Legionär aus der westafrikanischen Republik ist die Schaltzentrale zwischen Defensive und Mittelfeld.

Er kann den Ball halten (auch unter Bedrängnis), er kann einen Gegner schleppen und er kann den Ball verteilen. Weil er offensichtlich instinktiv auch immer genau dort steht, wo der Gegner hinpassen oder hinlaufen will, wirkt sein Spiel auch manchmal ziemlich mühelos, dafür aber gnadenlos effektiv. Reuben Acquah ist einer dieser Spieler, der alle Mitspieler um sich herum besser macht. Seine Kollegen im Mittelfeld – Marcel Ziegl und Stefan Nutz – sind dabei die größten Profiteure. Dank Acquah können sich beide um ihre Kernkompetenzen kümmern.

Alle Spiele, alle Tore

In der nachfolgenden Tabelle findet man alle Spiele aus dem Herbst in Spielabschnitte unterteilt. Besonders viel war stets zwischen Minute 46 und 60 los. In der Nachspielzeit kassierte man kein einziges Gegentor, konnte aber selbst viermal treffen. Die längste Führung hatte man gegen Amstetten (86 Minuten), am längsten lief man einem Rückstand gegen BW Linz nach (50 Minuten). Nur einmal blieb man ohne eigenes Tor, nämlich beim 0:0 bei den Young Violets in der 8. Runde.

SV Ried alle Spiele

Alle Spieler, alle Tore

In der nächsten Aufstellung habe ich die wichtigsten bzw. interessantesten Spielerstatistiken zusammen gefasst und auf die einzelnen Mannschaftsteile heruntergebrochen:SV Ried Spielerstatistik SP/S = Scorerpunkte pro Spiel
P/P/S = Punkte pro Spiel
Grün hinterlegt = Bestwert in einer Kategorie

In Klammer finden sich dabei die zusätzlichen Tore bzw. Assists und Scorerpunkte aus dem ÖFB-Cup. Nach dem bereits erwähnten 4:0 gegen Bruck/Leitha lieferte man in der 2. Runde einen wahren Cupfight in Steyr. Nach dem 3:3 Ausgleich der Steyrer in der 90. Minute durch Ex-SVR-Kicker Prada schoss Manuel Kerhe die SVR in der 96. Minute doch noch zum 4:3 Sieg. Endstation war allerdings im Achtelfinale beim Bundesligisten aus St. Pölten.

Der ÖFB-Pokal als Opfer der Meisterschaft

Gerald Baumgartner schonte in dieser Partie nahezu alle Schlüsselspieler, namentlich Grüll, Jefté, Acquah, Boateng und Nutz. Ohne es jemals offiziell gesagt zu haben, nahm man das Cup-Out für das große Ziel namens Wiederaufstieg billigend in Kauf. Der ÖFB-Pokal hat in Ried eine große Tradition, doch war er vor zwei Jahren vermutlich auch mitverantwortlich am Nichtaufstieg. Damals wurden die Liga-Aufgaben rund um das Viertelfinale bei Rapid unter erheblichem Konzentrationsmangel wahrgenommen – sowohl gegen den FAC (damals Tabellenschlusslicht) als auch in Liefering erreichte man jeweils nur ein Unentschieden – diese vier Punkte mehr hätten am Ende zumindest für den sicheren Platz in der Relegation gereicht.

Eiskalt vom Elferpunkt

Noch in der Vorsaison kostete die fehlende Kaltschnäuzigkeit vom Elfmeterpunkt einige Punkte (und ultimativ auch das Ausscheiden aus dem ÖFB Pokal). In der bisherigen Saison konnte man jedoch nicht nur alle Elfmeter verwandeln, sondern in persona Johannes Kreidl auch zwei Elfmeter abwehren.

Elferbilanz SV Ried

Mit Grüll (2), Jefté (2), Wießmeier und Nutz trafen alle vier verschiedenen Elfmeterschützen in dieser Saison souverän. Mit Ausnahme der beiden Partien gegen Dornbirn handelte es sich dabei auch stets um wichtige bzw. spielentscheidende Treffer. Der zunehmende Flow im Offensivspiel äußert sich auch in der Elferbilanz: bekam man von Runde 1-11 nur einen Elfmeter zugesprochen, so waren es von Runde 12-16 gleich sechs. Marco Grüll ist dabei der X-Faktor im gegnerischen Strafraum, er hat sechs der sieben zugesprochenen Elfer herausgeholt.

Heraf und die Standardsituationen

Als Andreas Heraf im Juli als neuer Co-Trainer von Gerald Baumgartner präsentiert wurde, sorgte dies für vereinzeltes Kopfschütteln. Der frühere Rapid- und ÖFB-Spieler war zuvor als Teamchef der Frauennationalmannschaft aus Neuseeland aktiv, dieses Engagement endete verbandsbedingt nach Vorwürfen von unangemessenem Verhalten. Zudem war es fragwürdig, ob sich das Alphatier Heraf als Assistenztrainer unterordnen können würde bzw. damit zurecht kommen würde, nicht die Kommandos geben zu können.

Doch was man bisher mitbekommt, klappt dies wunderbar. Die Spieler profitieren auch von der langjährigen Bundesligaerfahrung bzw. internationalen Erfahrung des Wieners. Heraf ist in Ried in seiner Rolle als Co-Train unter anderem auch für die Taktik bei den Standardsituationen zuständig. Hier hat sich die Mannschaft im Laufe der Saison enorm verbessert, sowohl defensiv als auch offensiv. Bei Offensiv-Eckbällen greift man dabei immer öfters auf die Taktik der englischen Nationalmannschaft bei der WM in Russland zurück:

SV Ried Ecken

Screenshot via Full Match auf laola1.tv

Dabei stellen sich mehrere Ried-Spieler (darunter die enorm kopfballstarken Reifeltshammer und Reiner) hintereinander aufgefädelt auf dem Elferpunkt auf und blocken damit gegenseitig die Gegenspieler weg. Als Konsequenz erkennt der Gegner (in diesem Fall Dornbirn) die Laufwege zu spät bzw. weiß nicht, ob die Ecke an Reifeltshammer oder Reiner gerichtet ist. Mit dieser taktischen Finesse konnte man beim 5:0 in Dornbirn das vorentscheidende 2:0 erzielen. Und auch beim Heimspiel gegen die Vorarlberger brannte der Strafraum bei Ecken von Stefan Nutz stets lichterloh.

Transfer-Retrospektive

Nach dem verpassten Wiederaufstieg war relativ schnell klar, dass die SVR das Kaderbudget (erneut) reduzieren muss. Aufgrund fehlender TV-Gelder (der Unterschied zwischen Bundesliga und 2. Liga liegt bei ~ 2 Millionen Euro), geringerer Sponsorengelder (der Werbewert der 2. Liga ist viel geringer) und niedrigerer Zuschauerzahlen (die in Ried immer noch besser sind als bei so manchem Bundesligisten) musste vor dem 3. Versuch des Wiederaufstiegs (erneut) der Sparstift angesetzt werden.

Mit Lukas Grgic verlor man einen zentralen Bestandteil der Vorjahresmannschaft (ausgerechnet) an die #WirtirolerSiegenGemeinsam Tirol. Aufgrund einer von Ex-Sportdirektor Schiemer festgelegten Klausel verdiente man mit seinem Abgang leider auch viel zu wenig.

Goalgetter Patrick Eler wurde (nach Ende seiner Leihe von Nancy) von Austria Lustenau fix verpflichtet. Die Vorarlberger starteten mit einem Investor und großen Sprüchen in die neue Saison, liegen aktuell aber 15 Punkte und 21 Tore hinter der SVR und können damit bereits jetzt für die nächste Saison in der 2. Liga planen.

Zittern um Boateng

Es gab im Sommer neben Grgic und Eler noch mehrere heiße Transferaktien im Kader der SVR. An erster Stelle sei Kennedy Boateng genannt. Der Defensivakteur aus Ghana ist mit ziemlicher Sicherheit der beste Innenverteidiger der 2. Liga und würde auch die meisten Bundesligisten in Österreich verstärken. Gerüchten zufolge war sein Verbleib im Innviertel bis zum letzten Tag der Transferperiode ungewiss. Diese Gerüchte werden nun im Winter wieder Fahrt aufnehmen, vor allem weil er zuletzt nach seiner Verletzungspause in den beiden letzten Spielen der Herbstsaison nicht (mehr) eingesetzt wurde.

Grüll bestätigt seine Leistungen

Marco Grüll und Ante Bajic (man verzeihe mir diesen Ausruck) terrorisierten im Frühjahr die Defensivreihen der 2. Liga. Nach dem verpassten Aufstieg hoffte man (unter den Fans), zumindest einen von beiden halten zu können. Letztendlich konnte man sogar beide halten und ersparte sich dadurch die Suche nach einem Nachfolger (bzw. zwei Nachfolgern).

Grüll, der bis Herbst 2018 bei St. Johann/Pongau in der RLW aktiv war, entwickelte sich im Kalenderjahr 2019 zur Tor- und Assistmaschine und hält nach 34 Spielen für die SVR bei 14 Toren und 20 Assists, also einem unglaublichen Scorerpunkte-Schnitt von 1,00. Sollte im Winter ein großer Verein anklopfen, wird man den Pongauer vermutlich kaum halten können. Auch wenn Sportdirektor Baumgartner bereits an den Vorstand appelliert hat, keine Spieler zu verkaufen.

Bajic wird im Frühjahr wie ein Neuzugang sein

Auch Ex-Gurten-Kicker Bajic scorte im Frühjahr fast nach Belieben und hielt am Ende bei 13 Scorerpunkten (8 Tore, 5 Assists) in 14 Spielen. Zudem drückte er dem Rieder Offensivspiel auch stets seinen Stempel auf. Der explosive Flankenspieler bildete mit Grüll sowie Julian Wießmeier und Patrick Eler ein Viereck des Schreckens, welches sich in 15 Spielen für die Mehrheit der unglaublichen 40 Tore (= 2.66/Spiel) hauptverantwortlich zeichnete.

Aufgrund einer langwierigen Schulterverletzung, die sich Bajic beim 1. Saisonspiel gegen Klagenfurt zugezogen hatte, blieb der Flügelstürmer letztendlich bei der SV Ried und verlängerte sogar seinen Vertrag. Nach einer viermonatigen Verletzungspause feierte er am 16. Spieltag in Dornbirn sein Comeback im SVR-Trikot und brauchte keine Viertelstunde, um mit einem Assist anzuschreiben. Er wird im Frühjahr wie ein echter Neuzugang sein, wenn er verletzungsfrei bleiben kann.

Nutz nutzt die 2. Chance

Stefan Nutz wechselte in der Saison 2016/2017 am letzten Tag der Transferperiode von Rapid zur SV Ried. Er blieb in der Abstiegssaison stark hinter den Erwartungen, welche man in den früheren Spielmacher von Grödig gesetzt hatte. Dabei kamen auch Gerüchte auf, dass der Steirer gegen seinen Willen nach Ried transferiert worden sei und dementsprechend lustlos agierte. Umso überraschter waren die Fans im Innviertel, als im heurigen Sommer seine erneute Verpflichtung bekannt gegeben wurde.

Bei Altach spielte er im Frühjahr fast keine Rolle mehr und kam ab Ende April nicht mehr zum Einsatz. Nach einem schwierigen Saisonbeginn mit merkbar fehlender Spielpraxis steigerte sich der 27-jährige Judenburger jedoch immer mehr und ist nach 16 Runden der Top-Assistgeber der Liga. Nach zwei Assists an den ersten 6 Spieltagen (und einer Streichung aus dem Kader gegen die Young Violets) blühte Nutz ab Oktober (auch dank der Rolle von Acquah) so richtig auf und lieferte von dort an neun Assists in sieben Spielen.

Assistgeber 2. Liga

Quelle = transfermarkt.at

Jefté überrascht, Canillas enttäuscht

Nach dem Abgang von Alberto Prada zu Wiener Neustadt hatte die SVR in den beiden Vorsaisonen zum ersten Mal seit langer Zeit keine(n) Spanier im Kader. Durch die Verpflichtung von Jefté Betancor (von Mattersburg) und Canillas (von BW Linz) änderte sich dies nun wieder. Jefté spielte im Frühjahr für Steyr und erzielte dort im 1. Spiel im Frühjahr auch das 1-0 bei einem 1-1 in Ried. Abgesehen davon war er bei den Fans in Steyr aufgrund seiner Spielweise (ihm wurden u.a. mangelnde Laufbereitschaft und zu viel Meckerei vorgeworfen) nicht wirklich beliebt.

Doch mit acht Toren (darunter fünfmal das 1-0) und vier Assists (eines davon spielentscheidend) konnte er seine vorschnellen Kritiker überraschen bzw. überzeugen. Ganz anders verhält sich die Situation bei Canillas. Der 23-jährige aus Málaga schaffte in der vergangenen Saison den Durchbruch in Linz, bevor er sich gegen Ende der Hinrunde schwer verletzte. In Ried war man offenbar trotzdem von seinen Qualitäten überzeugt und nahm für seine Verpflichtung sogar eine Ablöse in die Hand. Mit nur einem Tor in der Liga spielte er jedoch gegen Ende der Hinrunde keine Rolle mehr. Hier hat man sich eindeutig verspekuliert, denn für den Spanier musste Darijo Pecirep den Verein verlassen.

Pecirep verstärkt den Titelkonkurrenten

Der sympathische Kroate wechselte knapp vor Saisonbeginn ausgerechnet zum Ligakonkurrenten aus Klagenfurt und erzielte beim Auftaktspiel in Ried just nicht nur ein Tor, sondern bereitete auch einen weiteren Treffer vor. Insgesamt hält er derzeit bei sieben Saisontoren und hat den Abgang von Sascha Pichler (zu Austria Wien) mehr als nur abfedern können. Wieso der Rieder  Toptorschütze der Vorsaison (11 Tore, obwohl er im Frühjahr nur mehr zu Kurzeinsätzen kam) unbedingt aus dem Verein gedrängt wurde, ist mir bis heute ein Rätsel. Vor allem weil sein Nachfolger (Canillas) eben bisher auf ganzer Linie enttäuscht hat.

Wer waren nochmal die anderen Abgänge?

Neben Grgic (der durch Acquah und Nutz ersetzt werden konnte) und Pecirep (der dann zumindest nicht beim Konkurrenten spielen würde) sind die Abgänge aller anderen Spieler im Sommer ziemlich verschmerzbar gewesen. Thomas Mayer weist zwar eine gute Bilanz auf, in Ried wäre er aber dank Grüll und Bajic über die Joker-Rolle nicht hinaus gekommen.Ex-Spieler Ried Bei den Abgängen handelt es sich fast durch die Bank um „Verstärkungen“ von Franz Schiemer, mittlerweile als Co-Trainer bei Red Bull Salzburg aktiv. Der Kader der aktuellen Saison unter Trainer & Sportdirektor Gerald Baumgartner ist deutlich homogener und nebenbei um 10% billiger als in der Vorsaison. Doch nicht nur der Profikader, sondern auch der Kader der 2. Mannschaft hat im Herbst für einige positive Momente gesorgt.

Seitenblick: Junge Wikinger Ried in der RLM

Denn zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte spielt die zweite Mannschaft der SV Ried unter dem Namen Junge Wikinger Ried in der dritthöchsten österreichischen Spielklasse. Ermöglicht wurde der Aufstieg durch einen abermaligen Aufstiegsverzicht von ASKÖ Oedt, dem Ex-Verein von Ex-Manager Stefan Reiter. Als Vizemeister waren die JWR in der Endtabelle 2018/2019 nämlich deutlich hinter dem Grad-Konstrukt gelegen.

Wurde das Team letztes Jahr noch von zwei verschiedenen Trainern betreut (Muslic im Herbst bzw. Unterberger im Frühjahr), so übernahm der SVR-Jahrhundertkicker Herwig Drechsel im Sommer das Ruder. Der Qualitätsunterschied zwischen OÖ Liga und Regionalliga Mitte ist viel höher als beispielsweise zwischen Landesliga und OÖ Liga und so war meine persönliche Erwartungshaltung für die Saison relativ bescheiden.

Ich selber hatte im Sommer sogar die These aufgestellt, dass die junge Truppe (das Durchschnittsalter liegt bei 18.85) ohne Verstärkungen btw. Routiniers relativ chancenlos hinsichtlich Klassenerhalt sein würde. Doch erfreulicherweise konnten die Jungen Wikinger das eine oder andere Mal überraschen. Nach Ende der Herbstsaison liegt die Drechsel-Elf auf dem 13. Platz.

Junge Wikinger Ried RLM

Quelle: transfermarkt.at

Grundsätzlich gibt es in dieser Liga drei Absteiger, weil jeweils eine Mannschaft aus Kärnten, Oberösterreich und der Steiermark aufsteigen. Doch wenn eine Mannschaft aus diesen drei Bundesländern aus der 2. Liga absteigen sollte, dann kann es theoretisch auch (maximal) sechs Absteiger geben. Derzeit schaut es stark nach vier Absteigern aus, weil Kapfenberg in der 2. Liga am Tabellenende liegt. Dann würde der aktuelle 13. Tabellenplatz nicht für den Klassenerhalt reichen.

Die vier Siege konnte man übrigens in Heimspielen gegen Stadl-Paura, ATSV Wolfsberg und Vöcklamarkt bzw. auswärts in Bad Gleichenberg eingefahren. Dabei war das 4-0 gegen den UVB die beste Saisonleistung, hätten die Hausruckviertler doch an jenem Spieltag mit einem Sieg die Tabellenführung der RLM übernehmen können.

Deutliche Niederlagen setzte es bei den Sturm Graz Amateuren sowie in Weiz, wo man jeweils mit 0:5 unterging. Leider ließ man sich einige Male auch die Butter vom Brot nehmen: sowohl gegen Kalsdorf, Gleisdorf und die WAC Amateure musste man nach Führung knapp vor Spielende den entscheidenden Gegentreffer zur Niederlage hinnehmen. Auch in Deutschlandsberg sowie gegen St. Anna verlor man jeweils nach einer 1:0 Führung.

Mangelnde Power bzw. die Routine im Spiel sind sicherlich die dafür verantwortlichen Faktoren. Nachfolgend noch eine Übersicht über den Kader der JWR inkl. Einsätze, Tore und den jeweiligen Stammverein (Quelle hierfür jeweils oefb.at).

Kader Junge Wikinger Ried

Ich habe im Herbst alle Heimspiele der JWR live in der josko ARENA miterlebt. Dabei stachen aus meiner Sicht die nachfolgenden Spieler am meisten heraus: Nemanja Zikic kam Anfang des Kalenderjahres als vereinsloser Spieler nach Ried. Er durchlief seine gesamte Ausbildung in der Akademie von Red Bull Salzburg. Der Spielmacher (mit der unüblichen Rückennummer 4) ist mit einem Distanzschuss Marke Kragl/Drechsel gesegnet und der kreative Geist in der Mannschaft.

Jonas Schwaighofer wurde im September gerade erst 18 Jahre alt. Zu Saisonbeginn hatte ich noch die Befürchtung, dass der Offensivspieler wegen seiner schmächtigen Statur von den Gegenspielern „gefressen“ werden würde. Doch er konnte im Laufe der Hinrunde nicht nur spielerisch sondern auch körperlich enorm zulegen und ist aus meiner Sicht (über kurz oder lang) ein Kandidat für die Profimannschaft. Er ist technisch beschlagen und lässt sich auch von körperlich überlegenen Gegnern nicht einschüchtern. LT1 hat im November übrigens auch eine Reportage mit dem Titel „Traumberuf Profikicker“ über ihn veröffentlicht.

Zu guter Letzt war – gerade zu Saisonbeginn – bei Felix Seiwald erkennbar, wieso er vor der Saison mit einem Jungprofivertrag ausgestattet wurde. Der Linksverteidiger zeichnete sich dabei oftmals durch überlegtes Stellungsspiel aus. Zur Mitte der Herbstsaison war ein Leistungsabfall erkennbar, doch gegen Ende der Hinrunde konnte er wieder an die Leistungen vom Saisonbeginn anknüpfen. Aufgrund der überschaubaren Konkurrenz auf seiner Stammposition könnte er über kurz oder lang auch den Durchbruch bei den Profis schaffen.

Ausblick auf das Frühjahr

Das Frühjahr wird am 21. Februar 2020 mit dem absoluten Kracher zwischen Austria Klagenfurt und der SV Ried eröffnet. Nach ForForest geht es dann im Wörthersee Stadion wieder ForPunkte. Eine Parallele übrigens zur Vorsaison, in der die SVR gleich zu Beginn der Rückrunde mit einem 3:0 in Wattens die Aufholjagd auf den Konkurrenten startete.

Zu diesem Zeitpunkt wird man übrigens auch 524 Tage lang in der Fremde unbesiegt sein. Zuletzt setzte es am 14. September 2018 eine Auswärtsniederlage (0:1 beim FAC). Wenn es nach dem direkten Duell gar 525 Tage sind, dann geht man auch als Topfavorit in die Endphase der Liga, die jedoch ein Marathon und kein Sprint ist.

Für die Rieder spricht, dass man gleich acht der letzten 13 Saisonspiele (wieso auch immer) in der heimischen josko ARENA bestreiten darf.Programm SVR Sollte man die Schlüsselspieler im Verein halten können, dann spricht aus meiner Sicht auch nichts gegen den langersehnten Aufstieg der SVR. Die Leistungen von Austria Klagenfurt wurden zuletzt immer schwächer und der Millionenverlust im aktuellen Jahresabschluss hat unter den Anhängern ebenfalls für Unsicherheit gesorgt.

Sollte man im April noch immer ganz vorne dabei sein, so geht hoffentlich wieder ein Ruck durch die Region und die Mannschaft bekommt jene Zuschauerunterstützung, welche sie sich mit den Leistungen aus dem heurigen Jahr auf alle Fälle verdient hat.

Ein abermaliger Nichtaufstieg könnte verheerende Konsequenzen für den Fußball im Innviertel haben, wie ein Artikel von Thomas Streif in den OON aufzeigt. Denn dieser würde nicht nur Auswirkungen auf die Profimannschaft haben, sondern auch auf die AKA OÖ West in Hohenzell, welche auf Kosten der SVR betrieben wird.

Doch so weit will ich an dieser Stelle noch nicht denken. Ried gehört in die Bundesliga und deswegen bin ich guter Dinge, dass Spieler, Trainer, Funktionäre, Sponsoren, Unterstützer und Fans im Frühjahr einmal mehr alles für die Sportvereinigung Ried von 1912 geben, sodass der Traum vom Aufstieg endlich Realität wird. Denn aller guten Dinge sind letztendlich auch drei.


In eigener Sache

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