Gerald Baumgartner, where did it all go wrong?
Wörter: 2017
Lesezeit: 9-11 Minuten
Letztes Update: 16. Dezember 2020, 16:30
Inhaltsverzeichnis
Die Bundesliga ist ein hartes Pflaster
31. Juli 2020. Nach drei qualvollen Jahren der Zweitklassigkeit wird mit einem 9-0 gegen den FAC der Wiederaufstieg in die Bundesliga fixiert. Nachdem man einen Vorsprung von 8 Punkten auf Austria Klagenfurt nach der Corona-Pause zunächst kläglich verspielte, wurde das große Ziel quasi in letzter Sekunde doch noch erreicht.
Doch der (maximal) späte Zeitpunkt des Aufstiegs sorgte auch für erhebliche Probleme in der Vorbereitung auf die aktuelle Saison. Noch nie war die Sommerpause für einen Bundesligisten so kurz, noch nie war der Unterschied des sportlichen Levels der beiden höchsten Spielklassen so groß. Deswegen musste man als Realist mit einer schwierigen ersten Saison rechnen.
Ich hatte auf Basis dieser Fakten meine persönliche (!) Zielsetzung für die SV Ried bei 10 Punkten bis zur Winterpause bewusst zurückhaltend definiert. Diese hatte man nach 9 Spielen erreicht. Dennoch trennte man sich nach nunmehr 11 Spielen vom dritten Aufstiegstrainer der Rieder Bundesligageschichte. Nachfolgend ein Versuch der Aufarbeitung, warum dieser Schritt (auch aus meiner Sicht) trotzdem notwendig und überfällig war.
Kurzer Rückblick auf die Hinrunde des Grunddurchgangs
Niemand hatte von der SVR erwartet, mit einem neu zusammengewürfelten Team aufzugeigen und vorne mitzuspielen. Die Punkteausbeute von 10 Punkten aus elf Spielen ist trotzdem ähnlich wie bei Wacker (10) / Hartberg (12) bzw. Wattens (9) in den Vorjahren – obwohl diese Teams unter deutlich besseren Voraussetzungen in die Saison gehen konnten.
Allerdings kamen 7 dieser 10 Punkte höchstglücklich zustande. Das Abseitstor zum 3-2 von Valentin Grubeck gegen Wattens, nachdem die Tiroler beim Stand von 1-2 mehrmals die Riesenchance auf das 1-3 hatten. Das 2-0 gegen Hartberg, bei dem die Oststeirer insgesamt viermal am Aluminium anklopften und knapp 30x aufs Tor schossen. Last but not least das 1-1 gegen den WAC, bei dem die Lavanttaler an der eigenen Chancenauswertung und Naivität (beim Elferfoul an Grüll) scheiterten.
In drei Spielen war man sprichwörtlich chancenlos (beim 0-3 auf der Gugl, beim 0-4 in St. Pölten sowie beim 0-2 gegen Sturm), auch wenn die COVID-19-Fälle in der Mannschaft zweimal eine gewichtige Rolle spielten. Beim 1-3 in der Südstadt und dem 1-4 gegen Altach versagten sowohl Nerven als auch Matchplan gegen unmittelbare Abstiegskandidaten.
Beim 1-2 gegen die Austria hätte man sich – rückwirkend gesehen – mehr zutrauen müssen, weil die Violetten nach aktuellem Stand der Dinge eher um den Abstieg als um die Qualifikation zur Meistergruppe mitspielen werden. Das 1-3 gegen RBS kann man noch als eine der besten Saisonleistungen bezeichnen, mit etwas Glück hätte Marco Grüll in der Nachspielzeit das 2-2 erzielt.
Suboptimale Kaderplanung dank Mini-Budget
Lediglich beim 4-3 gegen Rapid kann man von einem verdienten Sieg sprechen. Doch just in dieser Partie wurde die Mannschaft von Gerhard Schweitzer vorbereitet und betreut, weil Gerald Baumgartner wegen einer Lungenentzündung zwei Wochen ausfiel und das Bett hüten musste.
Gerhard Schweitzer, der österreichische „Rekord-Interimstrainer“ ersetzte nach Ende der Aufstiegssaison den ehemaligen Co-Trainer Andreas Heraf. Der Wiener war unter Baumgartner beispielsweise für die (mitentscheidenden) Standards verantwortlich und war dem Salzburger in der Außendarstellung vermutlich zu einflussreich geworden. Die Trennung sorgte auch medial für Aufsehen – aufgrund der Historie von Heraf musste man allerdings irgendwann auch damit rechnen.
Doch nicht nur die Veränderung im Bereich der Co-Trainer wirkte auf die aktuelle Saison ein. Als Aufsteiger mit kleinem Geldbörserl hatte man neben einem gewissen Zeitdruck auch keinen großen Spielraum und musste mehrheitlich mit aussortierten und/oder vereinslosen Spielern Vorlieb nehmen. Abgesehen davon ist die Bundesliga für viele (vorher zweitklassige) Spieler ein Lernprozess. Fehler werden schneller und härter bestraft. Und das volle Ausmaß dieser Tatsachen musste man heuer nahezu in jeder Partie miterleben.
Auf manchen (Defensiv-)Positionen ist man zudem nicht bundesligatauglich besetzt. Kerhe/Takougnadi hat in der 2. Liga gerade noch funktioniert, ist eine Liga darüber allerdings nicht mehr genug. Mit Daniliuc musste heuer der 2. Ersatztormann der 2. Liga plötzlich mehrfach ins Tor – und hat dort leider genau wie ein Zweitligaersatztormann agiert. Im defensiven Mittelfeld fehlt ein zweitkampfstarker und spielbestimmender Akteur. Doch auch ganz vorne enttäuschte „Wunschneuzugang“ Sulley bisher auf ganzer Linie (wenn er gerade nicht verletzt war). Nebenbei sorgte man mit der monatelangen (!) Trainingsteilnahme von Patrick Möschl auch für einen zusätzlichen Nebenschauplatz.
„Weil der Baumi nicht da war“
Wie das Standing von Gerald Baumgartner innerhalb des Teams war, kann ich nicht beurteilen und maße ich mir auch nicht an. In Ried haben Pädagogen (wie Roitinger, Hochhauser, Kraft oder Gludovatz) stets am besten funktioniert. Von Menschen die ihn kennen (und mit ihm gearbeitet haben) wird Baumgartner allerdings zumeist als „harter Hund“ bezeichnet. Dies ist grundsätzlich nicht schlecht, denn auch Paul Gludovatz wurde in Ried als „Schilfschneider“ bezeichnet. Doch man hatte von außen immer wieder das Gefühl, Baumgartner fehlt einfach das für den Job notwendige Fingerspitzengefühl.
Vielsagend war ein Interview von Constantin Reiner nach dem 4-3 gegen Rapid. „Wir haben extrem gut trainiert in den letzten zwei Wochen, weil der Baumi nicht da war„, so das Zitat des Salzburger Landsmanns. Auch wenn es sich dabei (vermutlich) um einen Versprecher handelte und sich Reiner auch umgehend entschuldigte, so war das Zitat doch weiteres Wasser auf die Mühlen so mancher Kritiker.
Sowohl in punkto Aggressivität als auch Offensive war die Leistung gegen Rapid die beste Saisonleistung. Hier hatte man das Gefühl, dass einzelne Angriffsvarianten einstudiert waren und dass man keine Angst vor dem Gegner hatte, der mit einem Sieg in Ried die Tabellenführung hätte übernehmen können. Ultimativ wird auch dieser Eindruck ein Mitentscheidungsgrund für den Vorstand hinsichtlich Trennung gewesen sein.
Seltsame Interviews sorgen für Kopfschütteln
Abseits der Mannschaft kann man die immer größer werdenden Probleme von Baumgartner schon besser quantifizieren. Ein Blick auf sein Verhältnis mit den Vorstandsmitgliedern, den Anhängern und den Medien zeichnet folgendes Bild: Neben persönlichen Eitelkeiten hat das völlig abstruse Interview mit der Krone unmittelbar nach dem Aufstieg einen fahlen Nachgeschmack beim Vorstand erzeugt. Schon damals wurde spekuliert, ob Baumgartner dieser Rundumschlag seinen Job kosten könnte.
Viele Aussagen (wie etwa die Interviews nach der Derby-Niederlage oder der Heimniederlage gegen Altach) haben für Unmut bei den Anhängern gesorgt. Es geht nicht darum, ob man gewinnt oder verliert, sondern wie man einen Sieg oder eine Niederlage präsentiert. Und hier war Baumgartner zumeist etwas tollpatschig unterwegs. Sich nach der Derbyniederlage hinzustellen – bei der man absolut und sprichwörtlich chancenlos war – und zu behaupten, das taktische Konzept wäre beinahe aufgegangen, ist ziemlich realitätsfremd. Auch wenn der LASK der SVR aktuell Lichtjahre voraus ist – keine Gelbe Karte und keine Torchance in einem Derby schmerzen trotzdem.
Auch gegen Altach – die bis zu dieser Runde auswärts punktelos waren und deren Selbstvertrauen am absoluten Tiefpunkt war – muss man einfach mit einer anderen Einstellung und einem anderen Konzept ins Spiel gehen und von Beginn an zeigen, dass man dieses Spiel unbedingt gewinnen will. Es war auch falsch, die (wirklich unfassbar dämliche) Gelb-Rote-Karte von Markus Lackner als Ausrede verwenden. Selbst mit zehn Mann hätte man aus diesem Spiel durchaus noch etwas mitnehmen können.
Der Zeitpunkt der Trennung ist nachvollziehbar
Ultimativ war Baumgartner nach diesem desaströsen 1-4 gegen Altach nicht mehr haltbar. Mit einem Sieg hätte man sich 8 Punkte vom Tabellenende distanzieren können, nun liegt der Vorsprung auf einen Nichtabstiegsplatz bei 3 mickrigen Punkten. Die Kritiker im Vorstand und unter den Fans bekamen dadurch endgültig Oberwasser. Nachdem immer wieder und wieder und wieder Kritik aufkam, war es daher richtig, noch in diesem Jahr und vor der Winterpause einen Schlussstrich zu ziehen und für Ruhe im Verein zu sorgen (.. wieder einmal).
Am kommenden Sonntag um 14:30 geht es im letzten Spiel des „Coronajahres“ 2020 auswärts gegen das Überraschungsteam der Saison aus Wattens, die zuletzt 3-0 in Hütteldorf gewinnen konnten. Nach dem sportlichen Abstieg der Vorsaison (nur durch die Machenschaften von Pucher rund um die Commerzialbank und Mattersburg waren die Tiroler in der Liga geblieben) ist die WSG heuer ein ernstzunehmender Kandidat für die Meisterrunde.
Mit einem so genannten Trainereffekt unter Langzeit-Feuerwehrmann Gerhard Schweitzer (ob es diesen nun gibt oder nicht, sei dahingestellt) hofft man nun vermutlich trotzdem, zumindest einen Punkt aus dem Tivoli mitzunehmen, um dann mit dem neuen Trainer im Frühjahr durchzustarten.
Wer wird eigentlich nächster Trainer?
Die Zeiten, in denen ein Aufsteiger sogleich vorne mitspielen konnte, sind längst vorbei. Zu groß ist der Unterschied zwischen Bundesliga und 2. Liga geworden, was auch die Ergebnisse der österreichischen Teams (speziell RBS, Wolfsberg, LASK) im Europacup nahezu wöchentlich zeigen.
Man muss sich daher eine neue Rolle suchen – etwa jene des unangenehmen Underdogs (wie nach dem ersten Aufstieg im Jahr 1995), der die Fans mit viel Einsatz und aufopferungsvollem Fußball begeistert und effektiv nur wenig mit dem Abstieg zu tun hat. Ob dies vielen Anhängern genug sein wird, die mit Cupsiegen und Herbstmeistertiteln aufgewachsen sind, sei dahingestellt.
Wer auch immer neuer Trainer wird, er muss über ein klares Konzept verfügen und die Mannschaft stufenweise in der Bundesliga etablieren können. Heuer geht es nur um den Klassenerhalt und um nichts anderes. Wer dies nicht versteht, hat während der letzten Jahre nicht viel verstanden. Im nächsten Jahr sollte man dann vermehrt Ausrufezeichen setzen können, bis man sich dann im dritten Jahr hoffentlich wieder als fixer Bestandteil der Bundesliga etablieren kann. Hartberg ist aktuell ein gutes Vorbild für einen solchen schrittweisen Prozess.
Mein persönlicher Wunschkandidat ist übrigens Philipp Semlic, der Erfolgstrainer von Zweitligasensationsteam Lafnitz. Er gilt in Fachkreisen als eines der größten österreichischen Trainertalente. Abseits davon fällt immer wieder der Name von Thomas Grumser, der zuletzt Wacker trainierte und seinen Posten vor der heurigen Saison räumen musste.
Miron Muslic (zuvor Co-Trainer in der ersten Saison unter Baumgartner und seit dieser Saison als Cheftrainer in Floridsdorf aktiv) gilt als weiterer Kandidat. Auch den Namen Klaus Schmidt (quasi der österreichische Peter Neururer) habe ich schon mehrfach gelesen. Eine Rückkehr von Andreas Heraf nach Ried klingt hingegen nicht sehr plausibel, wenn man an die unschönen Worte rund um seinen Abgang zurückdenkt.
Wer auch immer es werden wird, viel Zeit wird der neue Trainer auch diesmal nicht haben. Denn schon Ende Jänner wird die Bundesliga mit einem Duell gegen den direkten Konkurrenten aus Favoriten fortgesetzt. Eins ist daher garantiert: langweilig wird es im Rieder Fußball auch im Jahr 2021 nicht werden.
Unter Baumgartner war (bei weitem) nicht alles schlecht
Last but not least – bei allem (teilweise berechtigten) Ärger über manche Leistungen der Vormonate darf man nicht vergessen, dass Gerald Baumgartner den Verein am sportlichen Tiefpunkt in einer Doppelfunktion übernommen hatte. Bei den Abgängen von Thomas Weissenböck (Trainer) und Franz Schiemer (Manager) im November 2018 war der Verein absolutes Mittelmaß in der 2. Liga, der Aufstiegskampf war eigentlich kein Thema mehr.
Baumgartner hat das Unmögliche in dieser Saison fast noch möglich gemacht und die Mannschaft mit attraktivem Offensivfußball fast noch in die Bundesliga geführt, was er dann im Nachfolgejahr (mit finanziell geringeren Mitteln) geschafft hat. Anfeindungen oder Häme hat sich Gerald Baumgartner daher auf keinen Fall verdient. Vielleicht wird man in einigen Jahren doch entspannter oder positiver auf seine zweijährige Amtszeit in Ried zurückblicken. Länger war zuletzt nur Paul Gludovatz während seiner ersten Amtszeit am Steuer.
Auch in seinem ersten (wenngleich auch offiziellen) Statement nach der Trennung sind keine bösen Worte gefallen:
„Wir gehen im Guten auseinander. Es liegen zwei sehr intensive Jahre hinter mir. Wir haben unsere Ziele in einer schwierigen Zeit erreicht und ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam unser aktuelles Ziel, den Klassenerhalt, auch mit mir geschafft hätten. Großen Dank von meiner Seite an alle Spieler, dem Betreuerteam und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ich wünsche der SV Guntamatic Ried weiterhin viel Erfolg“, erklärt Gerald Baumgartner.
Im Gegensatz zu den Herren Chabbi, Benbennek, Kolvidsson oder Fuchsbichler wird er keinesfalls als „Flop“ in die Rieder Fußballgeschichte eingehen. Ganz im Gegenteil: er ist neben Klaus Roitinger und Heinz Hochhauser der dritte Aufstiegstrainer der Rieder Bundesligageschichte. Dies kann ihm (und auch uns) keiner mehr nehmen.
Update 16. Dezember – Interview SN
Auf Basis eines Artikels in den Salzburger Nachrichten vom 16.12. mit dem Titel „Lange Kampagne gegen meine Person“ nimmt Baumgartner seinen Rauswurf wohl doch nicht so gelassen hin. Mit einer Spitze gegen den Vorstand bestätigt er einmal mehr, dass das Verhältnis zwischen einigen Vorstandsmitgliedern und ihm wohl ziemlich vergiftet gewesen sein muss.
„Viele Teams in der Liga haben derzeit Probleme. Ich hätte mir erwartet, dass bei einem kleinen Verein wie Ried mehr zusammengehalten wird. Den Klassenerhalt hätte ich mir auf alle Fälle zugetraut. […] Es gab schon lang eine Kampagne gegen meine Person. Manche Leute im Vorstand wollten mich nicht als Trainer haben. Ich kann mir aber nichts vorwerfen, habe in den vergangenen zwei Jahren immer alles gegeben für den Verein“.
Fotocredits: nachrichten.at, GEPA Pictures (2), Wiener Zeitung, sportsbusiness.at
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!