Die SV Ried ist Winterkönig
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Es ist mittlerweile auf den Tag genau ein halbes Jahr her, dass ich zum letzten Mal über die aktuelle Lage der Gefühle bei der SV Ried geschrieben habe. Warum ich so lange nichts mehr geschrieben habe? Weil ich den schlechten Saisonstart (mit nur zwei Siegen aus fünf Spielen) nicht überbewerten oder auseinander nehmen wollte.
Nach dem Turnaround im September habe ich dann weiterhin von der Veröffentlichung eines neuen Artikels Abstand genommen, weil ich die Siegesserie der SVR auf keinen Fall jinxen wollte. Daher ist der Beginn der dreimonatigen Winterpause nun der perfekte Zeitpunkt für einen umfassenden Rückblick auf die Hinrunde der 2. Liga.
Inhaltsverzeichnis
(Kurzer) Rückblick auf das Frühjahr
Bevor ich mich vollständig auf die Saison 2019/2020 konzentriere: wer gerne an bessere Zeiten zurück denkt, kann natürlich nach wie vor einen Blick auf mein persönliches Team der Dekade werfen, welches ich vergangene Woche veröffentlicht habe.
In medias res: keine Mannschaft war 2019 punktemäßig auch nur annähernd so erfolgreich wie die SV Ried. Mit einem Vorsprung von 12 Punkten auf Klagenfurt und 23 (!) Punkten auf Lustenau belegt man in der Jahrestabelle den unangefochtenen 1. Platz. Ein Punkteschnitt von 2.35 über ein Kalenderjahr hinweg ist in der jüngeren Geschichte der zweithöchsten Spielklasse unerreicht.
Die Admira in 2010 (79 Punkte in 36 Spielen = 2.19 Schnitt), der LASK in 2006 (78/35 = 2.22) Altach in 2013 (76/36 = 2.11) sowie erneut der LASK in 2016 (76/37 = 2.05) holten zwar jeweils mehr Punkte, benötigten dafür allerdings deutlich mehr Spiele. Diesen Vereinen wurden übrigens der WAC, Altach, Grödig sowie St. Pölten zum Verhängnis.
Daher ist diese Jahrestabelle vermutlich die grausam-schönste Tabelle im österreichischen Fußball. Denn auch im zweiten Versuch hat die SVR den Wiederaufstieg in die Bundesliga nicht geschafft. Die sechs Punkte Rückstand auf Wattens nach der Herbstsaison 2018 konnten im Frühjahr zwar relativ schnell aufgeholt werden. Allerdings musste man die Tiroler drei Spieltage vor Saisonende dann doch noch vorbei ziehen lassen. Immerhin wurde die Mannschaft nach einem Frühjahr ohne Niederlage (10-5-0) im Gegensatz zur Vorsaison von den Fans mit einem guten Gefühl in die nachfolgende Saison verabschiedet.
Rückblick auf die Herbstsaison
Die Vorbereitung verlief im Bezug auf Testspielergebnisse alles andere als vielversprechend. Nach Siegen gegen Gurten (RLM) und Györ (2. Liga Ungarn) kam man gegen 1860 München und Union Berlin jeweils unter die Räder. Vor allem die Effizienz vor dem gegnerischen Tor war beim 0:3 gegen die Löwen katastrophal. Beim 0:4 gegen Union Berlin war man im Gegensatz dazu ziemlich chancenlos. Die Köpenicker haben in der aktuellen Bundesligasaison in Deutschland allerdings sowohl den BVB als auch den aktuellen Tabellenführer Mönchengladbach geschlagen und spielen (nicht nur wortwörtlich) in einer anderen Liga.
Das 4:0 in der ersten Cuprunde beim Regionalligisten aus Bruck an der Leitha war nicht so souverän wie das Ergebnis dies ausdrückt. Die Burgenländer hatten vor dem 1:0 durch Kerhe selber eine Riesenchance auf den Führungstreffer und vergaben in der Nachspielzeit einen Handelfmeter. Vor allem in der 2. Halbzeit merkte man jedoch den Klassenunterschied sowie den unterschiedlichen Stand in der Vorbereitung und so zog man letztendlich souverän in die 2. Cuprunde ein.
Ein Fehlstart zerstört die Aufbruchstimmung
Am 1. Spieltag der HPYBET 2. Liga bekam man durch Losfee ausgerechnet ein Heimspiel gegen Austria Klagenfurt zugeteilt. Ausgerechnet deswegen, weil die Kärntner wenige Wochen zuvor durch ein 1:1 in der josko ARENA ultimativ den Titel gekostet hatten. Die Klagenfurter hatten sich ihrerseits nach dem Einstieg eines Investors eine gute Rolle im Titelrennen ausgerechnet. Nach einer ereignislosen (bzw. geradezu blutleeren) ersten Halbzeit fiel die SVR-Defensive nach gut einer Stunde komplett auseinander. Binnen weniger Minuten hieß es 0:3 und die Fassungslosigkeit war den 2.700 Besuchern in der Arena geradezu ins Gesicht geschrieben.
Nach dem Schlusspfiff (Takougnadi hatte mit einem Freistoß in der Nachspielzeit noch für den Ehrentreffer zum 1:3 gesorgt) brachen auf den Rängen die Dämme. Vorfreude und Aufbruchstimmung waren in Windeseile weggewischt. Die Spieler mussten sich derbste Beschimpfungen von der West gefallen lassen. Für die Neuverpflichtungen und Außenstehende war diese Reaktion der Fans vielleicht unverständlich oder überzogen, war es doch die erste Niederlage im Kalenderjahr 2019. Doch der erneute Stolperstart (am 1. Spieltag konnte man zuletzt in der Saison 2014/2015 (!!!) gewinnen) war vor allem aufgrund des mangelhaften Einsatzes der Spieler auf dem Feld wie ein Dolchstoß in die geplagte Rieder Fanseele.
Aufgrund dieses Resultats (und des medialen Echos rundherum) ging es in der 2. Saisonpartie schon um relativ viel. Mit einer Niederlage beim vermeintlich größten Gegner um den Aufstieg aus Lustenau hätte der Rückstand auf Klagenfurt und die Vorarlberger nach zwei Runden schon jeweils sechs Punkte betragen. Durch ein 1:1 Unentschieden (bei dem ausgerechnet Ex-Kicker Mayer das 1:0 besorgte und anschließend provokant in Richtung Rieder Ersatzbank jubelte) glätteten sich jedoch die Wogen, auch weil Klagenfurt daheim nicht über ein 4:4 gegen Liefering hinaus kam.
Zweites Heimspiel, zweite Niederlage
Nach zwei positiven Resultaten (ein 4:1 gegen defensiv anfällige Amstettner sowie ein glückliches 1:0 in Lafnitz durch ein Zaubertor von Jefté) stand am 5. Spieltag der Knaller schlechthin an. Im Duell mit dem GAK hätte sich die SV Ried (vorübergehend) an die Tabellenspitze setzen können. Doch nach einem frühen (und abseitsverdächtigen) 1:0 von Jefté kam die Mannschaft äußerst unkonzentriert aus der Kabine, das schnelle 1:1 der Rotjacken war die direkte Konsequenz.
Letztendlich ging auch das zweite Heimspiel der Saison verloren, weil der Österreichische Meister aus 2004 durch einen fragwürdigen Elfer knapp vor Spielende noch den 2:1 Siegtreffer erzielen konnte. So gut die Leistung in der 1. Halbzeit war, so unerklärlich schlecht war sie in der 2. Halbzeit. Nach fünf Spielen fand sich die Mannschaft daher nur auf dem 9. Tabellenplatz wieder.
Beim 3:2 in Kapfenberg am nachfolgenden Spieltag gab es trotz eines Sieges viel Grund zum Ärgernis. Denn nach einer 2:0 Führung gegen die Obersteirer musste man (erneut) rund um die Stundenmarke zwei schnelle Gegentore hinnehmen. Ultimativ konnte man dieses Match durch ein Tor von Canillas noch gewinnen – allerdings hatte der schwache Schiedsrichter an diesem Tag bei zwei klaren Elfmetersituationen für Kapfenberg beide Augen zugedrückt.
Die jedoch schwächste Saisonleistung lieferte man 7. Spieltag bei den Young Violets ab. Die zweite Mannschaft der Austria Wien war bis zu diesem Spiel punktelos am letzten Tabellenplatz gelegen und überstand nahezu mühelos knapp 70 Minuten mit einem Mann weniger (Prokop hatte bereits nach 24 Minuten G/R gesehen) und so ende die Partie 0:0. Ein 3:3 von Klagenfurt gegen Lustenau sorgte jedoch auch nach diesem Spieltag dafür, dass die Schlagdistanz zur Tabellenspitze weiterhin nur vier Punkte betrug.
Mit Acquah fließt das Rieder Spiel
Vor dem Duell mit den OÖ Juniors am 8. Spieltag nahm Trainer Baumgartner die bisher (vielleicht) saisonentscheidende Veränderung an der Stammelf vor. Reuben Acquah war im Sommer vom LASK gekommen. Der Ghanaer war im Frühjahr an Hartberg verliehen, kam dort jedoch nur zu einem Kurzeinsatz in der Bundesliga.
Ich selber durfte ihn zum ersten Mal beim Testspiel gegen Györ in Enzenkirchen beobachten. Der 23-jährige machte als Bindeglied zwischen Defensive und Mittelfeld einen souveränen Job. Auch beim 0:3 gegen 1860 München war er nach seiner Einwechslung einer der auffälligsten Spieler am Platz. Und dennoch kam er im ersten Saisonviertel nur zu einem siebenminütigen Kurzeinsatz gegen Amstetten.
Um die Pointe vorweg zu nehmen: seit Acquah in der Startelf steht, gab es in neun Spielen ebenso viele Siege. Der Legionär aus der westafrikanischen Republik ist die Schaltzentrale zwischen Defensive und Mittelfeld.
Er kann den Ball halten (auch unter Bedrängnis), er kann einen Gegner schleppen und er kann den Ball verteilen. Weil er offensichtlich instinktiv auch immer genau dort steht, wo der Gegner hinpassen oder hinlaufen will, wirkt sein Spiel auch manchmal ziemlich mühelos, dafür aber gnadenlos effektiv. Reuben Acquah ist einer dieser Spieler, der alle Mitspieler um sich herum besser macht. Seine Kollegen im Mittelfeld – Marcel Ziegl und Stefan Nutz – sind dabei die größten Profiteure. Dank Acquah können sich beide um ihre Kernkompetenzen kümmern.
Alle Spiele, alle Tore
In der nachfolgenden Tabelle findet man alle Spiele aus dem Herbst in Spielabschnitte unterteilt. Besonders viel war stets zwischen Minute 46 und 60 los. In der Nachspielzeit kassierte man kein einziges Gegentor, konnte aber selbst viermal treffen. Die längste Führung hatte man gegen Amstetten (86 Minuten), am längsten lief man einem Rückstand gegen BW Linz nach (50 Minuten). Nur einmal blieb man ohne eigenes Tor, nämlich beim 0:0 bei den Young Violets in der 8. Runde.
Alle Spieler, alle Tore
In der nächsten Aufstellung habe ich die wichtigsten bzw. interessantesten Spielerstatistiken zusammen gefasst und auf die einzelnen Mannschaftsteile heruntergebrochen:SP/S = Scorerpunkte pro Spiel
P/P/S = Punkte pro Spiel
Grün hinterlegt = Bestwert in einer Kategorie
In Klammer finden sich dabei die zusätzlichen Tore bzw. Assists und Scorerpunkte aus dem ÖFB-Cup. Nach dem bereits erwähnten 4:0 gegen Bruck/Leitha lieferte man in der 2. Runde einen wahren Cupfight in Steyr. Nach dem 3:3 Ausgleich der Steyrer in der 90. Minute durch Ex-SVR-Kicker Prada schoss Manuel Kerhe die SVR in der 96. Minute doch noch zum 4:3 Sieg. Endstation war allerdings im Achtelfinale beim Bundesligisten aus St. Pölten.
Der ÖFB-Pokal als Opfer der Meisterschaft
Gerald Baumgartner schonte in dieser Partie nahezu alle Schlüsselspieler, namentlich Grüll, Jefté, Acquah, Boateng und Nutz. Ohne es jemals offiziell gesagt zu haben, nahm man das Cup-Out für das große Ziel namens Wiederaufstieg billigend in Kauf. Der ÖFB-Pokal hat in Ried eine große Tradition, doch war er vor zwei Jahren vermutlich auch mitverantwortlich am Nichtaufstieg. Damals wurden die Liga-Aufgaben rund um das Viertelfinale bei Rapid unter erheblichem Konzentrationsmangel wahrgenommen – sowohl gegen den FAC (damals Tabellenschlusslicht) als auch in Liefering erreichte man jeweils nur ein Unentschieden – diese vier Punkte mehr hätten am Ende zumindest für den sicheren Platz in der Relegation gereicht.
Eiskalt vom Elferpunkt
Noch in der Vorsaison kostete die fehlende Kaltschnäuzigkeit vom Elfmeterpunkt einige Punkte (und ultimativ auch das Ausscheiden aus dem ÖFB Pokal). In der bisherigen Saison konnte man jedoch nicht nur alle Elfmeter verwandeln, sondern in persona Johannes Kreidl auch zwei Elfmeter abwehren.
Mit Grüll (2), Jefté (2), Wießmeier und Nutz trafen alle vier verschiedenen Elfmeterschützen in dieser Saison souverän. Mit Ausnahme der beiden Partien gegen Dornbirn handelte es sich dabei auch stets um wichtige bzw. spielentscheidende Treffer. Der zunehmende Flow im Offensivspiel äußert sich auch in der Elferbilanz: bekam man von Runde 1-11 nur einen Elfmeter zugesprochen, so waren es von Runde 12-16 gleich sechs. Marco Grüll ist dabei der X-Faktor im gegnerischen Strafraum, er hat sechs der sieben zugesprochenen Elfer herausgeholt.
Heraf und die Standardsituationen
Als Andreas Heraf im Juli als neuer Co-Trainer von Gerald Baumgartner präsentiert wurde, sorgte dies für vereinzeltes Kopfschütteln. Der frühere Rapid- und ÖFB-Spieler war zuvor als Teamchef der Frauennationalmannschaft aus Neuseeland aktiv, dieses Engagement endete verbandsbedingt nach Vorwürfen von unangemessenem Verhalten. Zudem war es fragwürdig, ob sich das Alphatier Heraf als Assistenztrainer unterordnen können würde bzw. damit zurecht kommen würde, nicht die Kommandos geben zu können.
Doch was man bisher mitbekommt, klappt dies wunderbar. Die Spieler profitieren auch von der langjährigen Bundesligaerfahrung bzw. internationalen Erfahrung des Wieners. Heraf ist in Ried in seiner Rolle als Co-Train unter anderem auch für die Taktik bei den Standardsituationen zuständig. Hier hat sich die Mannschaft im Laufe der Saison enorm verbessert, sowohl defensiv als auch offensiv. Bei Offensiv-Eckbällen greift man dabei immer öfters auf die Taktik der englischen Nationalmannschaft bei der WM in Russland zurück:
Screenshot via Full Match auf laola1.tv
Dabei stellen sich mehrere Ried-Spieler (darunter die enorm kopfballstarken Reifeltshammer und Reiner) hintereinander aufgefädelt auf dem Elferpunkt auf und blocken damit gegenseitig die Gegenspieler weg. Als Konsequenz erkennt der Gegner (in diesem Fall Dornbirn) die Laufwege zu spät bzw. weiß nicht, ob die Ecke an Reifeltshammer oder Reiner gerichtet ist. Mit dieser taktischen Finesse konnte man beim 5:0 in Dornbirn das vorentscheidende 2:0 erzielen. Und auch beim Heimspiel gegen die Vorarlberger brannte der Strafraum bei Ecken von Stefan Nutz stets lichterloh.
Transfer-Retrospektive
Nach dem verpassten Wiederaufstieg war relativ schnell klar, dass die SVR das Kaderbudget (erneut) reduzieren muss. Aufgrund fehlender TV-Gelder (der Unterschied zwischen Bundesliga und 2. Liga liegt bei ~ 2 Millionen Euro), geringerer Sponsorengelder (der Werbewert der 2. Liga ist viel geringer) und niedrigerer Zuschauerzahlen (die in Ried immer noch besser sind als bei so manchem Bundesligisten) musste vor dem 3. Versuch des Wiederaufstiegs (erneut) der Sparstift angesetzt werden.
Mit Lukas Grgic verlor man einen zentralen Bestandteil der Vorjahresmannschaft (ausgerechnet) an die #WirtirolerSiegenGemeinsam Tirol. Aufgrund einer von Ex-Sportdirektor Schiemer festgelegten Klausel verdiente man mit seinem Abgang leider auch viel zu wenig.
Goalgetter Patrick Eler wurde (nach Ende seiner Leihe von Nancy) von Austria Lustenau fix verpflichtet. Die Vorarlberger starteten mit einem Investor und großen Sprüchen in die neue Saison, liegen aktuell aber 15 Punkte und 21 Tore hinter der SVR und können damit bereits jetzt für die nächste Saison in der 2. Liga planen.
Zittern um Boateng
Es gab im Sommer neben Grgic und Eler noch mehrere heiße Transferaktien im Kader der SVR. An erster Stelle sei Kennedy Boateng genannt. Der Defensivakteur aus Ghana ist mit ziemlicher Sicherheit der beste Innenverteidiger der 2. Liga und würde auch die meisten Bundesligisten in Österreich verstärken. Gerüchten zufolge war sein Verbleib im Innviertel bis zum letzten Tag der Transferperiode ungewiss. Diese Gerüchte werden nun im Winter wieder Fahrt aufnehmen, vor allem weil er zuletzt nach seiner Verletzungspause in den beiden letzten Spielen der Herbstsaison nicht (mehr) eingesetzt wurde.
Grüll bestätigt seine Leistungen
Marco Grüll und Ante Bajic (man verzeihe mir diesen Ausruck) terrorisierten im Frühjahr die Defensivreihen der 2. Liga. Nach dem verpassten Aufstieg hoffte man (unter den Fans), zumindest einen von beiden halten zu können. Letztendlich konnte man sogar beide halten und ersparte sich dadurch die Suche nach einem Nachfolger (bzw. zwei Nachfolgern).
Grüll, der bis Herbst 2018 bei St. Johann/Pongau in der RLW aktiv war, entwickelte sich im Kalenderjahr 2019 zur Tor- und Assistmaschine und hält nach 34 Spielen für die SVR bei 14 Toren und 20 Assists, also einem unglaublichen Scorerpunkte-Schnitt von 1,00. Sollte im Winter ein großer Verein anklopfen, wird man den Pongauer vermutlich kaum halten können. Auch wenn Sportdirektor Baumgartner bereits an den Vorstand appelliert hat, keine Spieler zu verkaufen.
Bajic wird im Frühjahr wie ein Neuzugang sein
Auch Ex-Gurten-Kicker Bajic scorte im Frühjahr fast nach Belieben und hielt am Ende bei 13 Scorerpunkten (8 Tore, 5 Assists) in 14 Spielen. Zudem drückte er dem Rieder Offensivspiel auch stets seinen Stempel auf. Der explosive Flankenspieler bildete mit Grüll sowie Julian Wießmeier und Patrick Eler ein Viereck des Schreckens, welches sich in 15 Spielen für die Mehrheit der unglaublichen 40 Tore (= 2.66/Spiel) hauptverantwortlich zeichnete.
Aufgrund einer langwierigen Schulterverletzung, die sich Bajic beim 1. Saisonspiel gegen Klagenfurt zugezogen hatte, blieb der Flügelstürmer letztendlich bei der SV Ried und verlängerte sogar seinen Vertrag. Nach einer viermonatigen Verletzungspause feierte er am 16. Spieltag in Dornbirn sein Comeback im SVR-Trikot und brauchte keine Viertelstunde, um mit einem Assist anzuschreiben. Er wird im Frühjahr wie ein echter Neuzugang sein, wenn er verletzungsfrei bleiben kann.
Nutz nutzt die 2. Chance
Stefan Nutz wechselte in der Saison 2016/2017 am letzten Tag der Transferperiode von Rapid zur SV Ried. Er blieb in der Abstiegssaison stark hinter den Erwartungen, welche man in den früheren Spielmacher von Grödig gesetzt hatte. Dabei kamen auch Gerüchte auf, dass der Steirer gegen seinen Willen nach Ried transferiert worden sei und dementsprechend lustlos agierte. Umso überraschter waren die Fans im Innviertel, als im heurigen Sommer seine erneute Verpflichtung bekannt gegeben wurde.
Bei Altach spielte er im Frühjahr fast keine Rolle mehr und kam ab Ende April nicht mehr zum Einsatz. Nach einem schwierigen Saisonbeginn mit merkbar fehlender Spielpraxis steigerte sich der 27-jährige Judenburger jedoch immer mehr und ist nach 16 Runden der Top-Assistgeber der Liga. Nach zwei Assists an den ersten 6 Spieltagen (und einer Streichung aus dem Kader gegen die Young Violets) blühte Nutz ab Oktober (auch dank der Rolle von Acquah) so richtig auf und lieferte von dort an neun Assists in sieben Spielen.
Jefté überrascht, Canillas enttäuscht
Nach dem Abgang von Alberto Prada zu Wiener Neustadt hatte die SVR in den beiden Vorsaisonen zum ersten Mal seit langer Zeit keine(n) Spanier im Kader. Durch die Verpflichtung von Jefté Betancor (von Mattersburg) und Canillas (von BW Linz) änderte sich dies nun wieder. Jefté spielte im Frühjahr für Steyr und erzielte dort im 1. Spiel im Frühjahr auch das 1-0 bei einem 1-1 in Ried. Abgesehen davon war er bei den Fans in Steyr aufgrund seiner Spielweise (ihm wurden u.a. mangelnde Laufbereitschaft und zu viel Meckerei vorgeworfen) nicht wirklich beliebt.
Doch mit acht Toren (darunter fünfmal das 1-0) und vier Assists (eines davon spielentscheidend) konnte er seine vorschnellen Kritiker überraschen bzw. überzeugen. Ganz anders verhält sich die Situation bei Canillas. Der 23-jährige aus Málaga schaffte in der vergangenen Saison den Durchbruch in Linz, bevor er sich gegen Ende der Hinrunde schwer verletzte. In Ried war man offenbar trotzdem von seinen Qualitäten überzeugt und nahm für seine Verpflichtung sogar eine Ablöse in die Hand. Mit nur einem Tor in der Liga spielte er jedoch gegen Ende der Hinrunde keine Rolle mehr. Hier hat man sich eindeutig verspekuliert, denn für den Spanier musste Darijo Pecirep den Verein verlassen.
Pecirep verstärkt den Titelkonkurrenten
Der sympathische Kroate wechselte knapp vor Saisonbeginn ausgerechnet zum Ligakonkurrenten aus Klagenfurt und erzielte beim Auftaktspiel in Ried just nicht nur ein Tor, sondern bereitete auch einen weiteren Treffer vor. Insgesamt hält er derzeit bei sieben Saisontoren und hat den Abgang von Sascha Pichler (zu Austria Wien) mehr als nur abfedern können. Wieso der Rieder Toptorschütze der Vorsaison (11 Tore, obwohl er im Frühjahr nur mehr zu Kurzeinsätzen kam) unbedingt aus dem Verein gedrängt wurde, ist mir bis heute ein Rätsel. Vor allem weil sein Nachfolger (Canillas) eben bisher auf ganzer Linie enttäuscht hat.
Wer waren nochmal die anderen Abgänge?
Neben Grgic (der durch Acquah und Nutz ersetzt werden konnte) und Pecirep (der dann zumindest nicht beim Konkurrenten spielen würde) sind die Abgänge aller anderen Spieler im Sommer ziemlich verschmerzbar gewesen. Thomas Mayer weist zwar eine gute Bilanz auf, in Ried wäre er aber dank Grüll und Bajic über die Joker-Rolle nicht hinaus gekommen.Bei den Abgängen handelt es sich fast durch die Bank um „Verstärkungen“ von Franz Schiemer, mittlerweile als Co-Trainer bei Red Bull Salzburg aktiv. Der Kader der aktuellen Saison unter Trainer & Sportdirektor Gerald Baumgartner ist deutlich homogener und nebenbei um 10% billiger als in der Vorsaison. Doch nicht nur der Profikader, sondern auch der Kader der 2. Mannschaft hat im Herbst für einige positive Momente gesorgt.
Seitenblick: Junge Wikinger Ried in der RLM
Denn zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte spielt die zweite Mannschaft der SV Ried unter dem Namen Junge Wikinger Ried in der dritthöchsten österreichischen Spielklasse. Ermöglicht wurde der Aufstieg durch einen abermaligen Aufstiegsverzicht von ASKÖ Oedt, dem Ex-Verein von Ex-Manager Stefan Reiter. Als Vizemeister waren die JWR in der Endtabelle 2018/2019 nämlich deutlich hinter dem Grad-Konstrukt gelegen.
Wurde das Team letztes Jahr noch von zwei verschiedenen Trainern betreut (Muslic im Herbst bzw. Unterberger im Frühjahr), so übernahm der SVR-Jahrhundertkicker Herwig Drechsel im Sommer das Ruder. Der Qualitätsunterschied zwischen OÖ Liga und Regionalliga Mitte ist viel höher als beispielsweise zwischen Landesliga und OÖ Liga und so war meine persönliche Erwartungshaltung für die Saison relativ bescheiden.
Ich selber hatte im Sommer sogar die These aufgestellt, dass die junge Truppe (das Durchschnittsalter liegt bei 18.85) ohne Verstärkungen btw. Routiniers relativ chancenlos hinsichtlich Klassenerhalt sein würde. Doch erfreulicherweise konnten die Jungen Wikinger das eine oder andere Mal überraschen. Nach Ende der Herbstsaison liegt die Drechsel-Elf auf dem 13. Platz.
Grundsätzlich gibt es in dieser Liga drei Absteiger, weil jeweils eine Mannschaft aus Kärnten, Oberösterreich und der Steiermark aufsteigen. Doch wenn eine Mannschaft aus diesen drei Bundesländern aus der 2. Liga absteigen sollte, dann kann es theoretisch auch (maximal) sechs Absteiger geben. Derzeit schaut es stark nach vier Absteigern aus, weil Kapfenberg in der 2. Liga am Tabellenende liegt. Dann würde der aktuelle 13. Tabellenplatz nicht für den Klassenerhalt reichen.
Die vier Siege konnte man übrigens in Heimspielen gegen Stadl-Paura, ATSV Wolfsberg und Vöcklamarkt bzw. auswärts in Bad Gleichenberg eingefahren. Dabei war das 4-0 gegen den UVB die beste Saisonleistung, hätten die Hausruckviertler doch an jenem Spieltag mit einem Sieg die Tabellenführung der RLM übernehmen können.
Deutliche Niederlagen setzte es bei den Sturm Graz Amateuren sowie in Weiz, wo man jeweils mit 0:5 unterging. Leider ließ man sich einige Male auch die Butter vom Brot nehmen: sowohl gegen Kalsdorf, Gleisdorf und die WAC Amateure musste man nach Führung knapp vor Spielende den entscheidenden Gegentreffer zur Niederlage hinnehmen. Auch in Deutschlandsberg sowie gegen St. Anna verlor man jeweils nach einer 1:0 Führung.
Mangelnde Power bzw. die Routine im Spiel sind sicherlich die dafür verantwortlichen Faktoren. Nachfolgend noch eine Übersicht über den Kader der JWR inkl. Einsätze, Tore und den jeweiligen Stammverein (Quelle hierfür jeweils oefb.at).
Ich habe im Herbst alle Heimspiele der JWR live in der josko ARENA miterlebt. Dabei stachen aus meiner Sicht die nachfolgenden Spieler am meisten heraus: Nemanja Zikic kam Anfang des Kalenderjahres als vereinsloser Spieler nach Ried. Er durchlief seine gesamte Ausbildung in der Akademie von Red Bull Salzburg. Der Spielmacher (mit der unüblichen Rückennummer 4) ist mit einem Distanzschuss Marke Kragl/Drechsel gesegnet und der kreative Geist in der Mannschaft.
Jonas Schwaighofer wurde im September gerade erst 18 Jahre alt. Zu Saisonbeginn hatte ich noch die Befürchtung, dass der Offensivspieler wegen seiner schmächtigen Statur von den Gegenspielern „gefressen“ werden würde. Doch er konnte im Laufe der Hinrunde nicht nur spielerisch sondern auch körperlich enorm zulegen und ist aus meiner Sicht (über kurz oder lang) ein Kandidat für die Profimannschaft. Er ist technisch beschlagen und lässt sich auch von körperlich überlegenen Gegnern nicht einschüchtern. LT1 hat im November übrigens auch eine Reportage mit dem Titel „Traumberuf Profikicker“ über ihn veröffentlicht.
Zu guter Letzt war – gerade zu Saisonbeginn – bei Felix Seiwald erkennbar, wieso er vor der Saison mit einem Jungprofivertrag ausgestattet wurde. Der Linksverteidiger zeichnete sich dabei oftmals durch überlegtes Stellungsspiel aus. Zur Mitte der Herbstsaison war ein Leistungsabfall erkennbar, doch gegen Ende der Hinrunde konnte er wieder an die Leistungen vom Saisonbeginn anknüpfen. Aufgrund der überschaubaren Konkurrenz auf seiner Stammposition könnte er über kurz oder lang auch den Durchbruch bei den Profis schaffen.
Ausblick auf das Frühjahr
Das Frühjahr wird am 21. Februar 2020 mit dem absoluten Kracher zwischen Austria Klagenfurt und der SV Ried eröffnet. Nach ForForest geht es dann im Wörthersee Stadion wieder ForPunkte. Eine Parallele übrigens zur Vorsaison, in der die SVR gleich zu Beginn der Rückrunde mit einem 3:0 in Wattens die Aufholjagd auf den Konkurrenten startete.
Zu diesem Zeitpunkt wird man übrigens auch 524 Tage lang in der Fremde unbesiegt sein. Zuletzt setzte es am 14. September 2018 eine Auswärtsniederlage (0:1 beim FAC). Wenn es nach dem direkten Duell gar 525 Tage sind, dann geht man auch als Topfavorit in die Endphase der Liga, die jedoch ein Marathon und kein Sprint ist.
Für die Rieder spricht, dass man gleich acht der letzten 13 Saisonspiele (wieso auch immer) in der heimischen josko ARENA bestreiten darf.Sollte man die Schlüsselspieler im Verein halten können, dann spricht aus meiner Sicht auch nichts gegen den langersehnten Aufstieg der SVR. Die Leistungen von Austria Klagenfurt wurden zuletzt immer schwächer und der Millionenverlust im aktuellen Jahresabschluss hat unter den Anhängern ebenfalls für Unsicherheit gesorgt.
Sollte man im April noch immer ganz vorne dabei sein, so geht hoffentlich wieder ein Ruck durch die Region und die Mannschaft bekommt jene Zuschauerunterstützung, welche sie sich mit den Leistungen aus dem heurigen Jahr auf alle Fälle verdient hat.
Ein abermaliger Nichtaufstieg könnte verheerende Konsequenzen für den Fußball im Innviertel haben, wie ein Artikel von Thomas Streif in den OON aufzeigt. Denn dieser würde nicht nur Auswirkungen auf die Profimannschaft haben, sondern auch auf die AKA OÖ West in Hohenzell, welche auf Kosten der SVR betrieben wird.
Doch so weit will ich an dieser Stelle noch nicht denken. Ried gehört in die Bundesliga und deswegen bin ich guter Dinge, dass Spieler, Trainer, Funktionäre, Sponsoren, Unterstützer und Fans im Frühjahr einmal mehr alles für die Sportvereinigung Ried von 1912 geben, sodass der Traum vom Aufstieg endlich Realität wird. Denn aller guten Dinge sind letztendlich auch drei.
In eigener Sache
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Spitze, sehr informativ