Heute um 05:18 Früh Westküsten-Zeit (PST) wurden von John Cho („Searching“) und Issa Rae („Insecure“) die Nominierungen für die 92. Academy Awards – besser bekannt als Oscars – bekannt gegeben. Dabei gab es gleich eine große Menge an Überraschungen!
Scherz beiseite. Es gab nämlich so gut wie überhaupt keine Überraschungen. Die Oscarnominierungen sind im Laufe der letzten Jahre zu einer Art self-fulfilling-prophecy verkommen. Man hat teilweise das Gefühl, die stimmberechtigten Mitglieder der Academy treffen ihre Auswahl mehrheitlich auf Basis von Insider-Portalen (wie beispielsweise goldderby.com), Wettquoten sowie anderen Filmpreisen (Golden Globes, BAFTAs, SAGs, Critics‘ Choice Awards usw.).
Wie auch immer, hier eine Liste der Filme mit multiplen Nominierungen:
11 | Joker |
10 | 1917 Once Upon A Time In Hollywood The Irishman |
6 | Jojo Rabbit Little Women Marriage Story Parasite |
4 | Ford v Ferrari |
3 | Bombshell Star Wars: The Rise Of Skywalker The Two Popes |
2 | Harriet Honeyland Judy Pain and Glory Toy Story 4 |
Viele diverse, kontroverse oder innovative Filme wurden von der Academy gänzlich ignoriert. An dieser Stelle will ich „The Farewell“, „Uncut Gems“, „Us“, „Queen & Slim“ oder das herrlich erfrischende „Booksmart“ nennen. Zu den großen Verlierern dürfen auch „The Lighthouse“, „Knives Out“ sowie „Rocketman“ mit jeweils nur einer Nominierung gezählt werden. Lediglich „Jojo Rabbit“ (eine Satire von „Thor“-Regisseur Taiki Waititi rund um einen Jungen und seinen imaginären Freund während des 2. Weltkriegs) hat es klammheimlich vom Außenseiter zum sechsfach nominierten Film geschafft.
Bester Film
Should win: Parasite
Will win: 1917 oder The Irishman
Parasite ist für mich ganz klar der beste Film des Jahres und spielt eine Klasse über allen anderen Nominierten. Ich habe derzeit (Stand: 13. Jänner) sieben dieser neun Filme gesehen, lediglich „1917“ (folgt kommendes Wochenende) und „Little Women“ fehlen mir noch. Weil ich aber irgendwie nicht ganz glauben kann/will, dass das Meisterwerk über zwei verschiedene Klassen der südkoreanischen Bevölkerung trotz keiner einzigen Darsteller-Nominierung reüssiueren kann, gibt es für mich einen Zweikampf zwischen „1917“ und „The Irishman“. Der Film über den 1. Weltkrieg ist für mich nach den Golden Globes (und vor den BAFTAs) nun leichter Favorit, hauptsächlich weil er (sehr) spät ins Rennen eingestiegen ist und bei den letzten Nominierungen bzw. Preisverleihungen viel Fahrtwind aufgenommen hat. Für mich sprechen auch der WW1-Pathos sowie die angewandte Technik („One-Shot“) der Altmeister Roger Deakins (Kamera) und Lee Smith (Schnitt; Oscar für „Dunkirk“) für das britische Drama.
Beste Regie
Should win: Bong Joon-ho (Parasite)
Will win: Sam Mendes (1917)
Bei den Golden Globes galten Martin Scorsese, Quentin Tarantino und Bong Joon-ho als Co-Favoriten. Bis dann Sam Mendes völlig überraschend gewann. Obwohl „1917“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal flächendeckend im Kino gestartet war. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass der Brite heuer seinen zweiten Oscar (nach „American Beauty“) gewinnen wird. Weil „The Irishman“ keiner der fünf besten Filme von Scorsese ist. Weil „Once Upon A Time…“ keiner der fünf besten Filme von Tarantino ist. Bong Joon-ho könnte nur mehr dann in das Rennen eingreifen, wenn er die Preise bei der DGA (Director’s Guild) und den BAFTA’s einheimst. Komplett chancenlos ist hier lediglich Todd Phillips. Für ihn hätte man auch Greta Gerwig („Little Women“), Taika Waititi („Jojo Rabbit“) oder Lulu Wang („The Farewell“) nominieren können. Aber über das Thema Oscars und Diversität schreibe ich später noch etwas.
Beste Hauptdarstellerin
Should win: Renée Zellweger (Judy)
Will win: Renée Zellweger (Judy)
Judy Garland gilt als Prototyp der tragischen Hollywood-Figur. Die Karriere von Renée Zellweger galt nach Abschluss ihrer Darstellung als Bridget Jones in der gleichnamigen Trilogie ebenfalls bereits als gescheitert/beendet. Im ansonsten eher durchschnittlichen Film „Judy“ geht sie jedoch voll in der Rolle der Hollywood-Ikone auf und hat auf der „Road to the Oscars“ bisher so gut wie jeden verfügbaren Preis gewonnen. Daher wird sie heuer auch ihren zweiten Oscar nach „Cold Mountain“ (Beste Nebendarstellerin) gewinnen. Saoirse Ronan wird (im Alter von 26!) zum vierten Mal leer ausgehen, Charlize Theron geht trotz ihrer bemerkenswert realitätsnahen Darstellung der FOX News Moderatorin Megyn Kelly als Außenseiterin ins Rennen. Globes-Gewinnerin Awkwafina wurde nicht einmal nominiert.
Bester Hauptdarsteller
Should win: Joaquin Phoenix (Joker)
Will win: Joaquin Phoenix (Joker)
Wer aktuell 10€ auf einen Sieg von Joaquin Phoenix setzt, gewinnt immerhin 11.70€. Der unkonventionelle Missionarssohn mit dem Bad-Boy-Image, der schon zweimal als (Mit-)Favorit leer ausgegangen ist (als Commodus in „Gladiator“ sowie als Johnny Cash in „Walk The Line“), geht bei seiner vierten Nominierung zurecht als absoluter Topfavorit in das Oscar-Rennen. Nicht mal seine multiplen „Fucks“ sowie seine unkonventionelle (betrunkene) politische Rede bei den Golden Globes werden diesmal verhindern können, dass der jüngere Bruder von River Phoenix endlich seinen hochverdienten Oscar bekommt. Die Rolle des Jokers wird damit auch zum zweiten Mal binnen zwölf Jahren (nach Heath Ledger in „The Dark Knight“) mit dem höchsten Filmpreis ausgezeichnet werden.
Beste Nebendarstellerin
Should win: keine Ahnung, da ich bisher nur einen dieser Filme gesehen habe
Will win: Laura Dern (Marriage Story)
Die einzige Hauptkategorie mit zumindest einer kleinen Überraschung, nämlich Florence Pugh (die heuer den Durchbruch als Hauptdarstellerin in Ari Asters „Midsommar“ schaffte) als Schwester von Saoirse Ronan in „Little Women“. Laura Dern hat für ihre Rolle als Hollywood-Scheidungsanwältin in Noah Baumbachs‘ „Marriage Story“ bisher jeden verfügbaren Preis gewinnen und wird daher nach zwei erfolglosen Nominierungen auch ihren ersten Oscar gewinnen.
Bester Nebendarsteller
Should win: Brad Pitt (Once Upon A Time In Hollywood)
Will win: Brad Pitt (Once Upon A Time In Hollywood)
Dass sich fünf frühere Oscar-Gewinner in einer Kategorie gegenüber stehen, gab es bisher nur einmal. Nämlich 2012, als Christoph Waltz seinen zweiten Oscar für Django Unchained gegen Tommy Lee Jones, Alan Arkin, Robert De Niro und Philip Seymour Hoffman mit nach Hause nehmen durfte. Wohl gemerkt hat Brad Pitt (noch) keinen Oscar als Schauspieler gewonnen, sondern als Produzent für den Besten Film „12 Years A Slave“. Gegen Pacino und Pesci spricht, dass sich zwei Nominierte aus einem Film normalerweise gegenseitig die Stimmen wegnehmen. Hopkins und Hanks haben keine reelle Chance auf ihren zweiten bzw. dritten Oscar.
Alle Tipps (Stand: 13. Jänner 2020)
Bester Film | 1917 |
Beste Regie | Sam Mendes (1917) |
Beste Hauptdarstellerin | Renée Zellweger (Judy) |
Bester Hauptdarsteller | Joaquin Phoenix (Joker) |
Beste Nebendarstellerin | Laura Dern (Marriage Story) |
Bester Nebendarsteller | Brad Pitt (Once Upon A Time…) |
Bestes Originaldrehbuch | Noah Baumbach (Marriage Story) |
Bestes adaptiertes Drehbuch | Steven Zailian (The Irishman) |
Beste Kamera | Roger Deakins (1917) |
Bestes Szenenbild | Once Upon A Time In Hollywood |
Bestes Kostümdesign | Little Women |
Beste Filmmusik | Joker |
Bester Filmsong | Into The Unknown (Frozen 2) |
Beste Make-up | Bombshell |
Bester Schnitt | Ford v Ferrari |
Bester Ton | 1917 |
Bester Tonschnitt | 1917 |
Beste visuelle Effekte | Avengers: Endgame |
Bester Animationsfilm | Toy Story 4 |
Bester internationaler Film | Parasite (Südkorea) |
Roger Deakins musste 14 Filme lang auf seinen ersten Oscar warten. Letztes Jahr für „Blade Runner 2049“ war es dann soweit. Lightning stikes twice besagt ein Sprichwort, daher wird er heuer dank seiner Kamera-Arbeit in „1917“ auf eine Bilanz von 2/15 aufbessern können. Einen Außenseitertipp mit „Ford v Ferrari“ wage ich beim Besten Schnitt, in dieser Kategorie gibt es vom Gefühl her so viele Außenseitersiege wie in sonst keiner anderen Kategorie. Beim Kostümdesign entscheide ich mich gegen „Once Upon A Time..“ und für „Little Women“, daher hier traditionsgemäß historische (bzw. historischere) Filme besser abschneiden.
Wer Hildur Guðnadóttir aussprechen muss, tut mir jetzt schon leid. Heuer sind mir genau zwei Scores im Ohr geblieben – jener von „Us“, der nicht einmal nominiert wurde, sowie jener von „Joker“ von der Isländerin, die letztes Jahr schon die HBO-Serie „Chernobyl“ mit schaurig-schöner Musik untermalte. Thomas Newman galt für „1917“ lange als Favorit, doch aktuell sind die Karten so offen wie schon lange nicht mehr. Beim Besten Filmsong hat die Academy (leider) ein Faible für Disney-Filme, daher tippe ich hier auf einen knappen Sieg gegen „(I’m Gonna) Love Me Again“ aus der Elton-John-Biographie „Rocketman“.
Aufschlüsselung meiner Oscar-Tipps nach Film
1917 | 5 |
Joker | 2 |
Once Upon A Time… | 2 |
Marriage Story | 2 |
Parasite | 1 |
Judy | 1 |
The Irishman | 1 |
Little Women | 1 |
Frozen 2 | 1 |
Maleficent | 1 |
Bombshell | 1 |
Avengers: Endgame | 1 |
Toy Story 4 | 1 |
Die Oscars werden auch heuer in homöopathischen Dosen an viele verschiedene Filme verteilt werden. Die Zeit der großen Abräumer (wie „Titanic“ oder „Lord Of The Rings: The Return Of The King“) ist vorbei und wird auch wohl so schnell nicht wieder kommen. Ich befürchte, dass mit „Parasite“ einer der besten Filme des abgelaufenen Jahrzehnts mit nur einem Oscar die Reise heimwärts nach Südkorea antreten muss. 기생충 (so der Originaltitel :) ) ist – wie schon zuvor angemerkt – ein Meisterwerk, welches man nur 2-3 Male pro Jahrzehnt zu sehen bekommt.
An dieser Stelle muss man allerdings attestieren, dass Hollywood leider noch immer ein Problem mit Diversität hat. Dies beweisen die Snubs von „Parasite“ und „The Farewell“ in den Darsteller-Kategorien. Der alte Spruch „Hollywood … too old, too white, too straight“ ist heuer aktueller denn je. Denn mit Cynthia Erivo ist genau eine von 20 DarstellerInnen nicht weiß .. und dies liegt heuer nicht daran, dass es keine KandidatInnen gegeben hätte. An dieser Stelle seien etwa Lupita Nyong’o für „Us“, Awkwafina für „The Farewell“ oder Song Kang-ho für „Parasite“ genannt.
Abschließend will ich noch positiv erwähnen, dass 2019 ein sehr starkes Filmjahr war und in keinem Vergleich mit 2018 steht. Ich bin der Meinung, dass mindestens sechs Filme die heuer nominiert wurden („1917“, „Once Upon A Time In Hollywood“, „Parasite“, „The Irishman“, „Marriage Story“, „Little Women“) letztes Jahr gegen „Green Book“ gewonnen hätten. An dieser Stelle muss man sich auch bei Netflix für die Disruption der Filmbranche bedanken, welche den renommierten Filmstudios einen Denkzettel verpasst hat und die Türe für mutigere und innovativere Filme geöffnet hat.
Auf YouTube kann man die Bekanntgabe der Nominierungen übrigens auch re-live sehen:
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